Zeitgenössische Architektur in Bayern

Seismographen der Architektur | Ebner's eleven

Prof. Peter Ebner
Fouquets Barrière von Edouard Francois

Ebner's eleven

Gut, es waren keine elf, sondern zehn und es ging nicht um einen Casino-Raub. Aber große Ähnlichkeit hatte doch die Wahl der eingeladenen Protagonisten zum zweitägigen Symposium im Siemens Auditorium der Pinakothek. Man kann sich gut vorstellen wie, der in München lebende, Architekt mit Lehrstuhl an der UCLA in Los Angeles, seine Freunde anrief und mit einem Wiedersehen und zwei netten Tagen nach München lockte. Denn anders wären zehn Büros dieses Kalibers nicht zu akquirieren gewesen. Interessant dabei, dass es sich nicht ausschließlich um Architekten handelt, sondern genreübergreifend ausgewählt wurde. Gemeinsam sei ihnen die Lust am Experimentieren und das Erkennen von neuen Strömungen als Lebensnerv von Entwicklungsprozessen. Ich bin gespannt...

Pünktlich um kurz nach drei beginnt Kazuyo Sejima - eine der beiden Partner von SANAA, Pritzkerpreisträgerin und Direktorin der aktuellen Architekturbiennale in Venedig ihren Vortrag. Viele Gäste sind bereits früh gekommen, um sich ihre Plätze zu sichern. Die, die auf die übliche Verspätung spekulieren, werden von den strengen Wächtern tatsächlich nicht mehr reingelassen. Der Raum ist voll. Nachdem man sich in ihre englische Aussprache eingehört hat, kann man ihren Erläuterungen der verschiedenen Projekte gut folgen. Sie stellt zunächst die atemberaubend schöne Rolex Learning School in Lausanne vor. Dann einen Museumsneubau in Toledo, den Serpentine Pavillion, ein kleines Ausstellungsgebäude für einen privaten Skulpturensammler, ein 60qm kleines sechsstöckiges Einfamilienhaus in Tokio sowie zwei weitere Museumsbauten. Bei jedem Gebäude beginnt sie mit den Studien zum Entwurf, zeigt dann Fotos der Modelle und erst anschließend die Fotos des realisierten Projektes. So kann man gut ihren Entwurfsansatz nachvollziehen und steigt tiefer ein, als wenn man nur mit beeindruckenden Bildern der fertiggestellten Gebäude konfrontiert würde. Anschließend ist leider keine Zeit für Fragen, das Taxi zum Flughafen wartet schon...
Da SANAA keine Informationen auf ihrer Homepage haben, hier der Link zu Wikipedia

Kivi Sotamaa aus Finnland hat das schwere Los im Anschluss zu sprechen, doch in fließendem, akzentfreien amerikanischen Englisch und energiegeladener Ausstrahlung zieht er uns mit seinen designtheoretischen Aussagen und den Bildern seiner Projekte in Bann. Die Arbeiten reichen von der Obstschale bis zum Hochhaus und allen Projekten liegen die von ihm entwickelten Gestaltungsgrundsätze zu Grunde; dazu gehört z.B. die Überzeugung, dass dynamische, organische Formen emotional und weniger intellektuell aufgenommen werden- sie gehen demnach schneller ins Herz. Auch:" The evidence of process is the enemy of sensation." Darüber werde ich mal in Ruhe nachdenken müssen...
www.sotamaa.net

Nach einer kurzen Pause geht es mit dem Duo von Urban Think Tank weiter. Hier haben sich ein gebürtiger Berchtesgardener und ein New Yorker im Venezuelanischen Caracas zu einem ambitionierten Büro zusammen getan. Ihr Thema ist das Arbeiten in globalen Kontexten und die Vernetzung der Dritten Welt mit den Unternehmen der wohlhabenden Industriestaaten. Durch ihre Lehraufträge an der Columbia und an der ETH in Zürich haben sie die Möglichkeit der neuen Generation von Architekten, deren Aufgabe es sein wird, Städte der für die Zukunft notwendigen Veränderung zu unterziehen, ihr Wissen weiter zu geben. Mit unglaublichem Temperament und in sagenhaftem Tempo wechseln sie sich bei ihrem Vortrag ab und erzählen uns, dass nicht die Menschen auf den Fotos in den Favelas Caracas' der verschwindend kleine Anteil im sozialen Gefüge sind, sondern wir. Das Projekt, welches sie uns vorstellen handelt von ihrer Initiative eine große Favela, in der tausende von Menschen an einem Berghang leben, mit einer Cable-car-Bahn zu erschließen. Dies ermöglicht ihnen Lebensmittel und Trinkwasser in ihre Hütten zu transportieren und die Abfälle weg zu schaffen. Ein großer Fortschritt, dem weitere Maßnahmen folgen sollen.
www.u-tt.com


Enrique Sobejano
vom Duo Nieteo Sobejano aus Madrid führt uns durch seine Projekte der letzten Jahre. Vor allem das Contemporary Art Center in Córdoba besticht durch sein Grundkonzept vieler trichterförmiger Einschnitte im Dach des Museumsbaus. Diese Grundform findet sich in der Fassade wieder, die Nachts hinterleuchtet ist und eine poetische Stimmung erzeugt. Auch für den sensiblen und doch extrem modernen Umgang bei Anbauten an historische Gebäude bekommen wir Beispiel gezeigt.
www.nietosobejano.com


Um 20 Uhr sind dann - wie angekündigt - die lectures vorbei und man trifft sich zum Wein im Café der Pinakothek. Auch wenn Sejima bereits abgereist ist, spürt man die Internationalität der Gäste und kommt sich in seinem gemütlichen München plötzlich recht provinziell vor. Das verstärkt sich, als wir auf Einladung von ROCK CAPITAL im La Barracca sitzen und die Gespräche zwischen deutsch, englisch und spanisch wechseln; viele kennen sich bereits und freuen sich, sich wiederzusehen; viele lernen sich neu kennen und tauschen Kontaktdaten aus. Es ist spät, als ich voll mit Eindrücken und Weißwein nach Hause radel... Ich muss mich dringend erholen, morgen geht's schließlich weiter!

Der Freitag beginnt etwas früher, bereits um 13 Uhr mit dem berühmten Hani Rashid des noch berühmteren Büros Asymptote Architecture aus New York (www.asymptote.net ) und Manfred Grohmann, Partner im Ingenieurbüro Bollinger + Grohmann aus Frankfurt (www.bollinger-grohmann.de), welches an bedeutenden internationalen Projekten beteiligt ist. Zu meinem großen Bedauern muss ich beide Vorträge verpassen, weil es leider noch andere Termine gibt an einem Freitag-Mittag. Doch ich komme rechtzeitig zu dem Vortrag des Franzosen Edouard Francois und habe zunächst den Eindruck in einer Stand-Up Comedy gelandet zu sein. Wir lachen laut und applaudieren seinen Projekten, die vom selben Humor zeugen, wie er ihn bei seinen Erläuterungen an den Tag legt. Er erzählt, dass er seinen Auftraggeber überredete die langweiligen Brandwände in einem Innenhof mit hunderten von Zweigen aus Aluminium zu verkleiden, indem er ihn davon überzeugte, dass Aluminium eine super Wertanlage sei und er nur die vielen Zweige einschmelzen lassen müsse, sobald der Aktienkurs rapid in die Höhe gestiegen sei... Ich wünschte diese Finesse und Freude am Spielerischen würde hierzulande - insbesondere in München - häufiger zugelassen.
www.edouardfrancois.com


Nicht als Architekten, sondern als Medienkünstler ist das Team von Mader Stublic Wiermann aus Berlin tätig. Sie beschäftigen sich mit der schönsten Ergänzung, die man Architektur zuteil werden lassen kann: Licht. Sie nutzen architektonische Fassaden als Leinwand für Projektionen, die die übliche statische Erscheinungsform von Gebäuden außer Kraft setzt und ihnen eine mobile Dynamik verpasst. In fließendem Englisch führt Alexander Stublic eher zurückhaltend und schlicht durch die sensationell schönen Projekte. Er beginnt mit dem Uniqa-Hochhaus in Wien, für welches das Büro 2006 mit einer Lichtinstallation für die Fassade beauftragt wurde. Hierbei handelt es sich nicht um eine Projektion, sondern um ein Gitter aus LED's, das an der Fassade angebracht wurde und computergesteuert geschaltet wird. Ein absolut werbefreier und so subtil-poetischer Effekt, der mir vor Freude Herzklopfen beschert. Wäre ich Bauträger, ich würde es nicht mehr ohne machen...
www.webblick.de


Als letzter stellt uns Hitoshi Abe seine Projekte vor. Der junge Japaner arbeitet Anfang der 90er Jahre bei Coop Himmelb(l)au und machte sich anschließend selbständig. Zu seinen Projekten zählen ein austernförmiges Stadion welches sich die hügelige Landschaft zunutze macht und ein Eckgebäude, das mehrere Lokale beherbergt und dessen Fassade Hitoshi Abe mit einem Industrie-Billigmaterial verkleiden liess. Durch die Strukturierung des Kunstoffes und die gegeneinander versetzten Kubaturen entsteht ein äußerst spannender Gesamteindruck.

Beim anschließenden Abendessen im kleinen Kreis spüre ich die Energie, die von diesen bemerkenswerten Entwerfern ausgeht. Die BMW-Welt, in die Peter Ebner einlädt, wird dabei genauestens untersucht und großzügig gelobt. Architekten dieses Kalibers haben es nicht nötig kleinlich am Werk der Kollegen rumzukriteln...

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass dies ein besonderes Erlebnis war; derart viele internationale Akteure von solchem Kalibers hatten wir in München noch nicht vereint. Daher war es besonders schade, dass die Vertreter der weiteren am Bauablauf beteilgten Berufsgruppen, so gut wie gar nicht unter den Zuhörern waren. Neben den Münchner Bauträgern (ich habe nur wenige gesehen) hatten sich auch unsere Stadtbaurätin und ihre Mitarbeiter aus den Genehmigungsbehörden die Chance nehmen lassen sich derart kompakt und zeitsparend über herausragende „Weltarchitektur" zu informieren. Zum Glück wird die Reihe »futureLAB by 3M« im nächsten Jahr fortgesetzt. Vielleicht haben dann mehr der „Entscheider" Lust sich bewußtseinserweiternd inspirieren zu lassen...?

Meinen herzlichen Dank an die Veranstalter
Peter Ebner für UCLA futureLAB by 3M (University of California, Los Angeles)
Peter Neumann, ROCK CAPITAL www.rock-capital.de
Stefan Gabriel, 3M New Ventures
Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne

Text Regine Geibel
Fotos
Elan Lipson und Regine Geibel

Medienpartner
muenchenarchitektur.com by BE URBAN - DETAIL - Süddeutsche Zeitung Magazin - Haus der Gegenwart

Vortragende
DO 14.10. | 15 - 20 Uhr
Sanaa - Kazuyo Sejima (Japan)
Kivi Sotamaa (Finnland)
urban think tank (Venezuela)
Nieto Sobejano - Enrique Sobejano (Spanien)

FR 15.10. | 13 - 18 Uhr
Asymptote - Hani Rashid (USA)
Bollinger + Grohmann (Deutschland)
Mader Stublic Wiermann (Deutschland)
Edouard François (Frankreich)
Hitoshi Abe (USA)