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Die Teilnehmer am diesjährigen Trendboard in der Diskussionsrunde |
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Futuristisch-Skulpturales im pure village |
War eine der Befürchtungen im Vorfeld, dass sich die wirtschaftliche Krisenstimmung in den Hallen bemerkbar machen würde, ist hier die erste positive Wahrnehmung, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil, mancherorts war sogar vibrierende Aufbruchstimmung spürbar. Eine logische Schlussfolgerung - denn in Krisenzeiten bleiben eigentlich nur zwei Optionen: Frustriert aufgeben - oder eben mit neuen Gedanken durchstarten. Da kommt es gerade der Möbelbranche sehr gelegen, dass veränderte Lebenssituationen und eine damit einhergehend veränderte Weltanschauung sich direkt auf eine Veränderung des Verhaltens und den Bedarf nach neuen Lebenswelten auswirken kann (und wird). In äußerlich unruhigen und beschleunigten Zeiten wird das eigene Zuhause immer wichtiger, nicht nur zur Abschottung gegen die feindliche Welt, sondern auch in seiner Funktionalität. Lebensräume verändern sich, die Grenzen werden fließend, Wohnen und Arbeiten am gleichen Ort nähern sich aneinander an - die traditionellen Muster der klaren Zimmereinteilung in Wohnen, Schlafen, Essen, Kochen lösen sich immer mehr auf. Sind Küche und Wohnraum in den vergangenen Jahren schon immer mehr verschmolzen, bietet sich nun auch das Arbeiten zuhause an. Was eine Auffälligkeit in Köln erklärt - dass Hersteller, die sich bislang auf den Objektbereich beschränkt haben, sich anschicken, ins Wohnsegment vorzudringen. In Materialien und Farbgebung an die Bedürfnisse in punkto Wohnlichkeit angepasst, zeigt sich hier, dass höchste (Design-)Qualität und Funktionalität nicht nur im Büro eine Daseinsberechtigung hat. Dass alle in Halle 11 gezeigten Produkte natürlich ihren Preis haben - und die herstellenden Unternehmen dennoch nach dem Motto „jetzt erst recht" zumindest in Deutschland gute Zahlen schreiben - liegt in einer durchaus positiv zu wertenden Auswirkung der Wirtschaftskrise begründet: der Wunsch nach Qualität und Nachhaltigkeit ist ausgeprägter denn je. Statt wahllos viel zu kaufen geht der Trend lieber zu wenigen, aber ausgesucht guten Stücken, mit denen man sich auch nach vielen Jahren noch entsprechend wohlfühlt.
Den Trends im Zuge der Veränderung der Wohn- und Lebenswelten nachzuspüren, stellte sich auch das internationale Trendboard. Dieses Jahr besetzt mit den Designern Bertjan Pot und Cecilie Manz, der Architektin und Designerin Johanna Grawunder, dem Fachjournalisten Marcus Fairs sowie dem Material- und Farbspezialisten Giulio Ridolfo. Vier Strömungen haben sie im Vorfeld der Messe herausgearbeitet, die sie nun, moderiert von Andre Kupetz (Rat für Formgebung) vorstellten. „Discipline", „Trickery", „Comfort Zone" und „Rehab" heißen die wichtigsten Entwicklungen für die Einrichtungsbranche - wobei „Discipline" und „Rehab" im Grunde dasselbe meinen - „die Vorgabe war aber, vier Themen zu finden", wie Marcus Fairs ganz ehrlich erklärte.
Genau genommen also drei Trends, die einen gemeinsamen Nenner haben: Qualität und Nachhaltigkeit. Während die eher konservativen Geister das Design auf die ursprüngliche Ästhetik des Bauhauses einschwören und absolute Perfektion einfordern (Discipline), wird im fröhlich-populären Milieu das Spiel mit klassischen Formzitaten, Improvisationen und Illusionen auf einmal sehr ernst genommen und kreative Qualität jenseits der perfekten Ausführung bejubelt (Trickery). Viele experimentelle Entwürfe spielen mit den Erwartungen an die Bequemlichkeit oder Funktionalität des Designs und inszenieren sie als Bild, das nicht hält, was es verspricht. Im familiär-harmonischen Ambiente wiederum besinnt man sich auf die eher robuste Qualität traditioneller Formen und Muster aus aller Welt, auf Selbstgemachtes und Dinge, die wie selbstgemacht aussehen (Comfort Zone). Innovationsfreudige suchen die pure Qualität der nackten, von allem Dekorativen befreiten Form mit einer Konsequenz, die fast schon wehtun kann (Rehab).
Gezeigt wurden die entsprechenden Wohnwelten im Pure Village, ein Ausstellungskonzept, das so erstmals auf der imm aufgebaut wurde - hier setzte die einheitliche Standarchitektur auf der gesamten Fläche der Halle 3.2 eine inhaltliche Klammer. Apropos Standararchitektur: Mein persönliches Highlight war hier ganz klar der heuer nach vielen Jahren kühler Reduziertheit neue Auftritt von Rolf Benz: Den Zeichen der Zeit nach Rückzug, Cocooning und auch Heimatverbundenheit folgend inszenierten die Nagolder ihre klaren und schörkellosen Produkte in einer kuscheligen Märchenwelt, dem Schwarzwald mit Natur und Gemütlichkeit nachempfunden. Ein wirkungs- und stimmungsvoller Kontrast.
Ganz anders wirkungsvoll, spektakulär und wirklich lohnend außerhalb der Messe war der Besuch bei der Agentur Meiré und Meiré, die die in der Reihe Dornbracht Edges (beinhaltet Projekte an der Schnittstelle von Architektur, Design und Kunst) entstandene Installation Revolving Realities zeigte. Die von Mike Meiré kuratierte autoreaktive Installation stammt von der Gruppe Interpalazzo und spielt gekonnt mit dem Empfinden von Realität, indem ein Ort und ein Objekt immer wieder neu wahrgenommen erfahren werden kann. Ein faszinierendes Erlebnis, dem man sich schwer entziehen konnte. Und auch ein Stück München setzt seit vergangenem Montag ein neues Highlight in Köln - in gewohnter Perfektion hat Axel Meise seinen - nach München - zweiten Occhio Flagshipstore im Rheinauhafen eröffnet. Eine spannende Mischung aus Architektur, Lichtgestaltung und Produkterlebnis.
Nina Shell