Zeitgenössische Architektur in Bayern

StadtBauwelt Gespräch 2012 | Muss München dichter werden?

Die Frage ist eigentlich längst beantwortet – trotzdem war der Theodor-Fischer-Hörsaal der Technischen Universität zum „StadtBauwelt-Gespräch“ am 22. November bis auf den letzten Platz gefüllt: Dass Zeitschriftenpräsentationen ein attraktives Veranstaltungsformat sein können, hat ARCH+ mit seinen „features“ hinlänglich bewiesen... 

In seiner Einleitung zum ersten Auswärtsspiel der 2011 mit „Der Ausverkauf der Stadt“ begonnenen Reihe betonte der stellvertretende Chefredakteur, Kaye Geipel, drei zentrale Aspekte – erstens ist München unter den deutschen Städten Vorreiter in Sachen Dichte: In den letzten zehn Jahren ist die Stadt um 136.000 Einwohner gewachsen, bis 2030 sollen weitere 150.000 dazukommen; zweitens hat das Thema Verdichtung momentan Hochkonjunktur: Parallel zu dem Gespräch in München veranstaltete der BDA Hamburg mit „Dense City – Intense City: Architektur für eine neue urbane Lebensqualität“ ein dreitägiges Symposium; und drittens würde er gerne erfahren, in welche Richtung sich das Leitbild 2012 der Landeshauptstadt seit „kompakt, urban, grün“ (1998) entwickelt hat.

Diese Frage konnten die Diskutanten – in alphabetischer Reihenfolge: Nicola Borgmann (Architekturgalerie München), Florian Fischer (Fischer Multerer Architekten), Rainer Hoffmann (bogevischs buero), Hilde Léon (Léon Wohlhage Wernik), Matthias Ottmann (Südhausbau), Stephan Reiß-Schmidt (Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklungsplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München), Peter Scheller (Palais Mai) und Verena Schmidt (Teleinternetcafe) – nicht abschließend beantworten.

Zu groß waren die Differenzen auf dem Podium: Während Peter Scheller unter dem plakativen Titel „vom Renthaus zum Penthouse“ über den fortschreitenden Verlust der Münchner Mischung und sozial zunehmend entmischte Quartiere sprach, wies Stephan Reiß-Schmidt auf das Instrument der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN), die seit ihrer Einführung immerhin rund 8.400 öffentlich geförderte Wohnungen, circa 1.500 Krippen-, 4.700 Kindergarten- und 1.000 Hortplätze schuf, und auf die Studie zur Langfristigen Siedlungsentwicklung (LaSie) hin.

Dieses Argument griff Matthias Ottmann auf, betonte aber, dass sich die „Münchner Mischung“ nicht auf neue Wohngebiete übertragen lasse: Erstens zögen dort kaum Münchner ein, und zweitens greife die SoBoN (zu) weitreichend in die Gestaltung ein, was zu einer „gebäudeweisen Segregation“ führe. Hilde Léon formulierte es nur leicht überspitzt so: „In Neubaugebieten wie der Funkkaserne fungiert der soziale Wohnungsbau zunehmend als Lärmschutzbebauung für die frei finanzierten Wohnungen.“

Den Aspekt der gebäudeweisen Segregation bestätigte Rainer Hoffmann auch für die Innenstadt, wo seit Jahren Mietshäuser im großen Stil in Stockwerkseigentum umgewandelt werden, was zu massiven Verdrängungsprozessen führt.

Demgegenüber betonte Florian Fischer, dass Dichte und Druck sich auch positiv auf die Qualität der Stadt auswirken könnten, und forderte ein Pilotprojekt für Blockrandbebauung in einem der (ehemaligen) Einfamilienhausquartiere – das sei „allemal besser als die Grundstücke volllaufen zu lassen.“

Diesen Gedanken griff Nicola Borgmann mit der Bemerkung auf, im Bereich der zweit- und Drittwohnungen – also zunehmend in der Innenstadt – könne mit Sicherheit dichter gebaut werden als „für Leute, die die ganze zeit in ihren Wohnungen leben müssen.“

Einig war sich das Podium immerhin darüber, dass München dichter werden muss, und die Vorteile der Verdichtung sicht- und erlebbar gemacht werden müssen, um die notwendige Akzeptanz dafür zu schaffen – auch weil, so Hilde Leon, „bestehende Privilegien bis aufs Messer verteidigt werden.“ Diese Erfahrung macht Peter Scheller momentan im Industrie- und Gewerbegebiet um die Paul-Gerhardt-Allee in Pasing: „Aus der Sicht der Anwohner sind die bestehenden Puffs besser als neue Nachbarn.“

Was dagegen unbeantwortet blieb, war die Frage von Matthias Ottmann, warum vom Wettbewerbsentscheid bis zum Baubeginn manchmal zehn Jahre vergehen, und ob man die Zwischenzeit nicht dazu nutzen müsste, zu prüfen, ob die ursprünglich festgelegte Dichte noch zeitgemäß ist – schließlich erlebe München gerade eine rasante Beschleunigung der demographischen Entwicklung: „Wir werden viel schneller viel mehr.“ Wie das trotzdem gehen kann, erklärte Verena Schmidt am Beispiel des Masterplans für das Kreativquartier: Dort arbeitet Teleinternetcafé von Anfang an nicht nur mit unterschiedlichen Dichten, sondern auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zeitfenstern der Entwicklung.

Das positive Schlusswort blieb Stephan Reiß-Schmidt vorbehalten: Immerhin ist München seit Jahren unangefochten Deutschlands am wenigsten segregierte Großstadt.

Jochen Paul