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Prof. Rainer Schmidt über den Ruf der deutschen Architekten und Landschaftsarchitekten im Ausland und den wachsenden Druck auf städtische Grünflächen

Prof. Rainer Schmidt Prof. Rainer Schmidt

Der Name des international tätigen Landschaftsarchitekten Prof. Rainer Schmidt (Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten) hat sich spätestens mit der Gestaltung der Bundesgartenschau 2005 auch in München jedem Fachinteressierten eingeprägt. Im Interview mit Jochen Paul spricht er über aktuelle Trends in der Landschaftsarchitektur, die spezifische Qualität Münchens sowie über die unterschiedliche Bedeutung des Gartens in Asien, dem Orient und Europa.

Sie sind als Landschaftsarchitekt seit über 30 Jahren national und international erfolgreich. Was war ihre bisher größte planerische Herausforderung?

Prinzipiell ist die Herausforderung immer, Orte mit Lebensqualität zu entwickeln, die auch bleiben. In München haben wir uns mit vielen städtebaulichen Aufgaben wie der Parkstadt Schwabing, dem Meiller-Areal, der Prinz-Eugen-Kaserne und Großhadern beschäftigt. Stadtstruktur ist etwas, das sich in 50 oder 100 Jahren noch ablesen lässt - was bedeutet, dass wir dabei als Planer, um einen qualitätvollen Außenraum zu schaffen, in langen Zeiträumen denken müssen. Die Aufgabe ist, Werte für den Nutzer und die Stadt zu schaffen.

Was würden Sie in München am liebsten gestalten?
Zwei gleichermaßen bedeutende Aufgaben wären die Neugestaltung der Münchner Fußgängerzone als Herzstück der Innenstadt und die Neustrukturierung der Siedlungen der 1950er und 60er-Jahre an der Peripherie. Dort finden wir zahlreiche Orte, die im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung hässlich sind, und die den heutigen Ansprüchen an Wohnen auch nicht mehr entsprechen. Stadt wirkt nicht nur vom Zentrum aus, sondern auch vom Rand her.

Wobei die angesprochenen Siedlungen ja durchaus beliebt sind. Insofern empfindet das, was Sie beschreiben, nicht jeder als Defizit...
Lebensqualität ist eine Frage des Bewusstseins, und je länger man an einem Ort wohnt, desto stärker sind der Bezug zu und die Identifikation mit ihm, ungeachtet seiner Defizite. Aber wir müssen auch daran denken, dass Arbeiten und Wohnen räumlich in Zukunft viel stärker verschmelzen, und wenn wir verhindern wollen, dass nur das Umland davon profitiert, müssen wir diese Wohnlagen ertüchtigen.

Wo sehen Sie München in 15 Jahren?
München wird weiter wachsen, dichter und urbaner werden - das bedeutet auch mehr Druck auf die Grünflächen. Davon abgesehen ist München in 15 Jahren eine pulsierende Stadt für alle, nicht nur für Senioren. Diese Entwicklung - momentan erlebt München vor allem einen Zuzug der älteren Generation - richtig zu steuern, ist eine schwierige Aufgabe, aber München muss für alle Alters- und Einkommensschichten attraktiv bleiben.

Was ist in diesem Zusammenhang die Aufgabe von Landschaftsarchitektur?
Attraktiven Freiraum zu schaffen: Leben in der Stadt ist Leben im Freiraum - Boulevards, Parks und Plätze. Leider haben wir in München viele Plätze, die zwar so heißen, die aber keine sind - der Innsbrucker Platz ist dafür ein Beispiel, ein anderes ist die Umgestaltung des Habsburger Platzes: beliebig, kein Konzept, und die Grünplanung nur Dekoration. Dabei geht es doch um Lebensqualität für die Orientierungspunkte der Stadt und um klar formulierte Abfolgen von Räumen - Freiraum ist das, was das Stadtbild prägt.

Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie aktuell?
In den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark in Richtung Partizipation und einer bottom up-Entscheidungskultur verändert, die beide den interessierten Bürger intensiv in Planungsprozesse einbinden und zu einer viel stärkeren Identifikation mit dem jeweiligen Projekt führen. Das reflektiert sich auch in der Landschaftsarchitektur. Dabei spielen sowohl die sozialen Netzwerke eine Rolle wie auch das Wiederanknüpfen an Themen, die bereits in den 1970er Jahren diskutiert wurden wie die Hinwendung zur Natur als Gegenpol zur fortschreitenden Technisierung unserer Lebenswelt.

Wie reagieren Sie in Ihrer Arbeit darauf?
In München haben wir vor einem guten Jahr den Wettbewerb zur Konversion der Prinz Eugen Kaserne gewonnen mit einem Entwurf, der innerhalb der Wohncluster urbane Gärten vorsieht - eine Reminiszenz an die Siedlergärten der 1920er Jahre.

Wobei es bei den heutigen Gärten viel eher um Selbsterfahrung als um Selbstversorgung geht...
Nicht nur: Es geht zwar um Natur und um die Erfahrung des In-Einklang-Seins mit ihr, um den Geruch von Erde, den Wechsel der Jahreszeiten - aber das Thema gesunde Ernährung spielt dabei auch eine Rolle. Von insgesamt 1.000 Tomatensorten waren bis vor nicht allzu langer Zeit gerade mal fünf im Handel. Diesen Trend zur Vielfalt greift die Landschaftsplanung aktuell stark auf: Wir achten wieder darauf, ein ähnlich großes Spektrum an Gewächsen einzusetzen wie zuletzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Blütezeit der Arboreten. Außerdem geht der Trend zur Natur einher mit einer wieder stärker organischen Formensprache.

Sie arbeiten viel im Ausland - was sind Ihre Erfahrungen dort?
Zunächst einmal, dass deutsche Architekten und Landschaftsarchitekten im Ausland einen sehr guten Ruf genießen - sowohl was die Qualität des Entwurfs und der Ausführung anbelangt wie auch in Bezug auf Kosten- und Terminsicherheit. Vor allem Auftraggeber aus dem arabischen und asiatischen Raum schätzen den konzeptionellen Ansatz der Deutschen.

Hat die Qualität der Landschaftsarchitektur im Ausland einen höheren Stellenwert?
Die Qualität von Außenanlagen ist teilweise kulturell sehr stark verankert: Im Islam hat der Garten eine besondere Bedeutung, steht Grün für die Sehnsucht nach dem Paradies, und in Shanghai werden mittlerweile keine Großprojekte mehr genehmigt ohne den Nachweis entsprechender Grünflächen und Parkanlagen.

Außerdem ist die Bereitschaft, eine zeitgemäße Formensprache in der Landschaftsarchitektur zu verwenden, im Ausland ausgeprägter als hier: Während in Europa der Landschaftspark des 19. Jahrhunderts im Stil von Lenné und Schinkel immer noch Vorbild ist, erwarten gerade asiatische Auftraggeber viel eher progressive Lösungen. Das hängt damit zusammen, dass die städtebauliche Entwicklung, die wir in Europa hatten, in Asien und den Arabischen Ländern nicht stattgefunden hat, weshalb wir dort eine viel größere Offenheit gegenüber zeitgenössischen Ansätzen vorfinden - auch weil die dortigen Gesellschaften auf der Suche nach ihrer Identität sind und dafür ein Umfeld haben wollen, das die Gegenwart reflektiert.

Ist die Tradition der europäischen Stadt also auch eine Bürde?
Nicht unbedingt, es geht eher um unterschiedliche Werte und Haltungen: In China wurden die meisten Städte in den letzten 20 bis 30 Jahren komplett abgerissen und nach sozialistischen Vorbildern wiederaufgebaut. Die traditionelle chinesische Hutong-Stadt gibt es im Gegensatz zur europäischen Stadt nicht mehr - das ist einer der Gründe dafür, dass die dortige Gesellschaft weniger traditionsbezogen ist als wir in Deutschland. Trotzdem könnte auch an der Peripherie unserer Städte sehr viel mehr gewagt werden. In Paris wurde unter François Mitterand mit dem Parc de la Villette dagegen ein Meilenstein der Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts gesetzt.

Vielen Dank für das Gespräch.