Trotz Wies’n und lauem Spätsommerwetter: Pünktlich zu Beginn der Podiumsdiskussion „Wohnen – Perspektive Stadt“ war das 8seasons komplett besetzt. Nach einer kurzen Begrüßung durch Gastgeberin Sabine Gotthardt eröffnete Moderatorin Katharina Matzig den Abend mit einer nur scheinbar harmlosen Frage: Wenn Wohnen zu Recht als „dritte Haut“ bezeichnet wird – was braucht es, um sich darin wohlzufühlen? Ein Rückblick von Jochen Paul
Die Antworten fielen überraschend politisch aus: Die Diskutanten – Prof. Michael Braum (Bundesstiftung Baukultur, Potsdam), Prof. Peter Sapp (querkraft architekten, Wien), Jürgen Patzak-Poor (BARarchitekten, Berlin), Mathias Düsterdick (PDI Property Development, Düsseldorf) und David Cook (Behnisch Architekten, Stuttgart) – waren sich weitgehend einig, dass qualitativ hochwertiger Wohnungsbau für alle gesellschaftlichen Schichten und Einkommensniveaus „andere Modelle benötigt als die, in denen wir in denen wir gegenwärtig denken“, wie es Michael Braum formulierte. Außerdem müsse es gelingen, eine Balance zwischen den Anforderungen des Klimawandels und preiswertem Wohnen zu finden.
Was das für die Ertüchtigung vieler Bestandsbauten bedeutet, skizzierte Mathias Düsterdick: In allen prosperierenden Städten gibt es sie zuhauf – abgenutzte Wohnbauten in unattraktiven Lagen mit nicht mehr zeitgemäßen Grundrissen und schlechter Bausubstanz, die aber wegen des Preisdrucks vollvermietet sind. Oftmals lohne sich die Sanierung nicht, ein Abriss komme aber ebenfalls nicht in Frage. Dafür, so Düsterdick, „haben wir momentan noch überhaupt keine Konzepte.“ Bei seinen Neubauprojekten auf innerstädtischen Grundstücken versuche er deshalb stets, die eventuell fehlende Lagegunst über die Qualitäten der Architektur wettzumachen, „durch das Produkt selbst Lage zu definieren.“
Wohnen und Arbeiten zusammen denken
Konsens herrschte auch darüber, dass Wohnen, wie Peter Sapp sagte, „so flexibel wie möglich sein muss und die Architekten das In-Besitz-Nehmen der fertig gestellten Wohnungen durch die Mieter schon beim Entwurf berücksichtigen müssen: Der Anspruch an unsere Gebäude ist, dass sie auch Hirschgeweihe, Blumentröge und gestapelte Autoreifen auf dem Balkon aushalten.“ In Wien haben querkraft architekten ein Wohngebäude realisiert, in dem jede Partei individuell entscheiden kann, „ob ihre Wohnung zum Hof orientiert, zur Straße, oder ob der Wohnraum durchgesteckt sein soll – der Grundriss gibt alle drei Varianten her.“
Jeder Bau also ein Prototyp. Einen zentralen Aspekt brachte Jürgen Patzak-Poor in die Diskussion: BARarchitekten (BAR steht für „Base für Research and Architecture“) geht es darum, Gebäude generell wieder mehr als Element des Städtischen zu begreifen – ihr für eine Baugruppe errichtetes, mit dem KfW-Award 2010 ausgezeichnetes Wohn- und Bürohaus Oderberger Straße 56 in Berlin stapelt nicht nur unterschiedliche Nutzungen, sondern auch Lebensszenarien: Neben fünf 80-Quadratmeter-Wohnungen und vier flexibel zuschaltbaren „Beibooten“ von je 40 Quadratmetern gibt es zweigeschossige Studios mit Galerieebene zum Wohnen und/oder Arbeiten, Werkstatträume, Cafés und Läden, Gewerbe und Ateliers, im Keller eine Werkstatt und eine Gästewohnung auf dem Dach. So außergewöhnlich das Gebäude ist, überträgt es im Prinzip nur die gründerzeitliche Nutzungsmischung von Wohnen und Arbeiten auf einen Neubau, in dem sich dadurch ständig neue Überlagerungen und Vernetzungen ergeben.
Lokale Bedürfnisse berücksichtigen
Wohnen in der Stadt bedeutet auch Geben und Nehmen, so David Cook, dessen Thesen den weiteren Verlauf der Diskussion vorgaben: Er plädierte für die Auseinandersetzung mit dem Bestand, einen innovativen Umgang mit Materialien, die Integration von Technologie, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur, für common sense statt Nachhaltigkeit, für pädagogische Ansätze in der Architektur – „was machen wir für unsere Kinder?“ – und dafür, die lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Denn: „Die Leute wissen genau was sie wollen, sie bekommen es aber nicht, weil sie in etwas hineinmüssen, was ihnen vorgesetzt wird“, so Michael Braum. „Wir müssen also die Bewohner wieder ernst nehmen und uns gleichzeitig darüber im Klaren sein, dass wir interessante Typologien nur dann in den Alltag bekommen, wenn wir über andere Trägerschaften – Baugruppen, Genossenschaften – nachdenken sowie darüber, Grundstücke in Erbpacht zu vergeben, damit wir innerstädtisches Wohnen wieder weg vom Hochpreissegment bekommen: Stadtentwicklung und Städtebau sind die möglichst verantwortliche Umverteilung von Nachteilen.“
Familen: Verlierer der „Renaissance der Städte?“
Nichts Geringeres also als eine neue Stadt- und Bodenpolitik: In Berlin haben die Baugruppen den Beteiligten die Augen dafür geöffnet, wie wichtig die Bodenfrage ist, um Wohnraum realisieren zu können, und dass die Kommunen wieder öffentlichen Wohnungsbau betreiben müssen. Um sie alleine dem freien Markt zu überlassen, ist die Aufgabe jedenfalls gesellschaftspolitisch zu wichtig: Die „Renaissance der Städte“ findet nur noch für die Wohlhabenden statt und läuft an jungen Familien komplett vorbei. Wohnen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist zwar eine Geldumverteilung, die Qualität der Stadt verschlechtert sich aber, wenn Familien mit Kindern gezwungen sind, an den Stadtrand zu ziehen.
Die abschließende Frage der Moderatorin, wie sie denn selbst wohnen, beantworteten die Podiumsteilnehmer bis auf eine Ausnahme – Jürgen Patzak-Poor, der sich sein eigenes Dachgeschoss gebaut hat – unisono mit: in einer Gründerzeit-Altbauwohnung. Kein Wunder – der Gebäudetypus kann zwar nichts perfekt, ist dafür aber unglaublich robust und flexibel genug, um so ziemlich jeden Nutzungswandel mitzumachen.
Zum Abschluss des Abends gab es noch einen Appell von David Cook: „Although we can’t save the world and our cities as a single architect, maybe there is a lot that we can do as a group of architects. Often we are in competition to one another, we all try to win our next project. It seems like we all know what to do, but we don’t do it. Maybe we just need to hold together once in a while, and our collective voice would be heard, because individual voices are often relatively ,leise‘.“
Jochen Paul