Juli 2011 | Je nach Landstrich dauert der Indian Summer in Amerika von Anfang September bis Ende Oktober. Nicht ganz so lange zeigt die Pinakothek der Moderne in München den American Summer: „Der Raum der Linie. Amerikanische Zeichnungen ab 1960“ endet am 25. September, „Donald Judd. A good chair is a good chair“ läuft bis zum 9. Oktober, und „John Chamberlain. Curvatureromance“ ist noch bis zum 23. Oktober zu sehen. Ein Rückblick von Jochen Paul
Auch wenn das ein oder andere seiner Wandobjekte durchaus an ein Regal erinnert: Donald Judd war Künstler. Das unterstrichen am Eröffnungsabend gefühlte zwei Dutzend weiß behandschuhte Aufseherinnen, die penibel darauf achteten, dass niemand den wertvollen Exponaten zu nahe kam. Dass sich der Künstler auch mit Architektur und Möbeln beschäftigt hat, war bisher weniger bekannt – unter anderem deshalb, weil sie kaum jemals außerhalb seiner Wohnsitze in New York und Marfa/Texas zu sehen waren.
Insofern gibt es in der Ausstellung Einiges zu entdecken. Zum Beispiel, wie systematisch und mit welcher Disziplin der Möbelgestalter Judd zu Werke ging – ein Set von 10 auf den ersten Blick identischen Stühlen aus Kiefernholz zeigt sich bei nochmaligem Hinsehen als Variation über das Thema Binnenraum des Stuhls –, und welchen Anteil an der ästhetischen Gesamtwirkung die Ausführung hat: Während der 1977 von ihm selbst aus rohen Brettern zusammengenagelte Kinderschreibtisch doch sehr hemdsärmelig daherkommt, ist die vier Jahre später von Wood and Plywood Furniture aus Walnuss gefertigte Version mit zwei Stühlen von fast japanischer Perfektion.
Zudem haben die Besucher die Möglichkeit, seine Möbel ebenso im Kontext von Designern wie Michael Thonet, Gerrit Rietveld, Alvar Aalto und Dieter Rams zu sehen, die Donald Judd sehr schätzte, wie auch im Vergleich zu seinen künstlerischen Arbeiten, die in der Pinakothek der Moderne unter anderem mit einer aus 16 einzelnen Wandobjekten bestehenden Rauminstallation vertreten sind.
Im Rahmen von „American Summer“ ist John Chamberlain, dessen in den letzten vier Jahren entstandenes Spätwerk die Pinakothek der Moderne erstmals in einer Museumspräsentation zeigt, der expressive Gegenpart von Donald Judd: Während dessen Arbeiten in ihrer Kompaktheit immer auch eine gewisse Schwere ausstrahlen, gelingt es Chamberlain, seinem Material mit der Blechpresse eine erstaunliche Leichtigkeit abzuringen – die zehn tonnenschweren Skulpturen aus geschweißtem Autoschrott scheinen in Bewegung zu sein.
Gleichzeitig versetzen sie den Betrachter zurück in die Zeit, als Autos noch Stoßstangen auch verchromtem Stahl hatten; darunter auffällig viele von Mercedes-Benz-Modellen der frühen 1960er bis späten 1970er Jahre. Die Ironie dabei: Was seinerzeit wertloser Schrott war, muss heute aufwändig recherchiert und ersteigert oder gleich als Neuteil teuer erworben werden. Trotzdem riechen die Skulpturen immer noch leicht nach Autoverwertung, Altöl und Gummi.
Jochen Paul