„Wie können wir den nachfolgenden Generationen einen intakten Globus überlassen? Wie gestaltet sich die weltweite Umwelt- und Ressourcensituation vor dem Hintergrund des extrem raschen Weltbevölkerungswachstums?“ Die Einladungskarte ließ schwere Kost erwarten.
Was dann kam, war ein - bei aller Bedeutsamkeit des Themas - extrem kurzweiliger, inspirierter und interessanter Vortrag. Der Referent, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung an der Universität Ulm und Mitglied des Club of Rome, begann mit der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 und der Frage, welches Leitbild Rio +20 zugrunde liegen soll. Die Zukunftsperspektiven der reichen und der armen Länder sind nämlich fundamental verschieden: Während in den Entwicklungsländern die Umwelt hinter der Entwicklung zurückstehen muss, ist es in den Industriestaaten genau umgekehrt.
Dieser Zielkonflikt besteht trotz aller verbalen Formelkompromisse fort, und während wir pausenlos Diskurse über Nachhaltigkeit führen, ist die Welt auf dem Weg in die Nicht-Nachhaltigkeit ein gutes Stück weiter gekommen: „Alle wollen dahin, wo wir sind, und wir wollen nichts wie weg - als Reaktion auf die Finanzkrise beschloss die Bundesregierung das Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, so Radermacher über das Verhältnis von Norden und Süden. Trotz der ökoeffizienteren Produktion der Industriestaaten liegt der CO2-Ausstoß in den USA bei 20, in der EU bei 8, in China bei 4,5 und in Indien bei 1,5 Tonnen pro Kopf und Jahr.
Demnach sollen aus Sicht der Industriestaaten also die Entwicklungsländer die Welt retten. Mehr noch als die Legitimation dieser Haltung sind ihre Erfolgsaussichten nach den Erfahrungen der ungleichen Verträge (China) und des Kolonialismus (Indien) mehr als fraglich, aber ein Weltparlament fürchten ausgerechnet die Demokratien des Norden mehr als alle anderen Länder, hätten doch die USA als weltgrößter Klimasünder gerade noch fünf Prozent der Stimmen - immer angenommen, ein Inder zählt genauso viel wie ein US-Amerikaner.
Woran der Zuhörer aber spätestens dann zweifelt, wenn er erfährt, dass 50 Prozent der weltweit produzierten Nahrung in Steaks gehen, die Hälfte der Weltweizenernte in Biosprit - zwei Tankfüllungen entsprechen dem jährlichen Nahrungsbedarf eines Erwachsenen in der „Dritten Welt“. Dabei wäre die Soziale Marktwirtschaft durchaus ein globales Nachhaltigkeitsmodell - auch wenn Deutschland enorm von nicht-nachhaltigen Mechanismen wie Müllexport und Produktionsverlagerung in Entwicklungsländer profitiert.
Übertragen auf den Immobiliensektor bedeutet das Risiko und Chance zugleich: Wenn weltweit ein Drittel der energetischen Ressourcen und des CO2-Verbrauchs in den Gebäudebestand gehen, ist die Hebelwirkung jeder Steigerung der Ökoeffizienz entsprechend groß - wer nicht viel verbraucht, kann auch nicht viel sparen. Für die heimische Immobilienwirtschaft besteht die Herausforderung darin, intelligente UND kostengünstige Lösungen für die energetische Sanierung des Gebäudebestands - mit einem Wert von 4.000 Mrd. EUR die Basis unseres Finanzsystems - zu entwickeln. Das flächendeckende Einpacken der Gebäude mit Wärmedämmverbundfassaden gehört aber nicht dazu: Weil unsere hiesigen Maßnahmen global betrachtet verpuffen, solange sich die USA und China nicht daran orientieren, ist nicht high tech gefragt, koste es was es wolle, sondern Lösungen, die auch für Entwicklungsländer funktionieren und bezahlbar sind.
Die schließlich müssen schneller gefunden werden als in der Vergangenheit: „Dafür“, so Radermacher, „können Katastrophen wie die Finanzkrise hilfreich sein - wenn sie sich in der richtigen Reihenfolge ereignen und nicht zu klein sind.“ Die alles entscheidende Frage dabei ist, ob es uns gelingt, Wohlstand für 10 Milliarden Menschen zu schaffen - nur dann besteht die Chance, das weltweite Bevölkerungswachstum umzukehren. Die technischen Möglichkeiten dafür sind vorhanden, die Wahrscheinlichkeit liegt laut Radermacher bei 35 Prozent, und wir sollten die Chance nutzen. Die Alternativen „Brasilianisierung“ - fünf Prozent der Bevölkerung können weiterleben wie bisher, die restlichen 95 Prozent hausen in Slums (50 Prozent) - und „Kollaps“ (15 Prozent) sind jedenfalls deutlich weniger attraktiv.
Jochen Paul