Als dritten Redner zur Vortragsreihe 'Gestaltung Wahrnehmen' lud die TU München Franco Clivio ein, um uns dessen Sammlung von anonym gestalteten Gegenständen vorzustellen. Selbstironisch stellte der Industrial Design-Lehrstuhlinhaber Fritz Frenkler den renommierten Designer nicht ohne vor: "Ich dachte ich wäre einer der wichtigsten, aber es gibt noch bessere: Dich."
Das Attribut "Designer" weist Clivio jedoch mitsamt dessen oberflächlichen Touch vehement von sich. Er sei Gestalter, und Größen wie Eames und Castiglione verpflichtet. Seitdem er Hosentaschen hat, sammelt er Gegenstände. Gegenstände, die ihn faszinieren, stimulieren - zu Entwürfen anregen. Und da Clivio viele Vorzüge an Dingen in seiner Umgebung wahrnimmt, ist seine Sammlung entsprechend groß. Dabei sammelt er Fächer, Beile, Uhren, Meßgeräte, Bleistifte etc. nicht um sie zu besitzen.
Der Kunstphilosoph Dewey bezeichnete den typischen Sammler als den typischen Kapitalisten. Ein Merkmal, das man Clivio nur bedingt zusprechen kann, denn sicherlich trifft dies nicht auf die Motive seiner Sammlung zu. Schließlich animierte Clivio auch seine Studenten an der Hochschule für Gestaltung in Zürich dazu, vermeintlich billige Produkte als Anschauungsmaterial in den Unterricht mitzunehmen. Aus dieser jahrelangen Leidenschaft, ist nun ein Buch entstanden: Verborgene Gestaltung, oder vielmehr "Hidden Forms", da die deutsche Ausgabe bereits vergriffen ist. Dieses Werk legt liebevoll eine Struktur in Clivios Sammelsurium. Anhand grundlegender Fragen wie "Wie gehe ich mit etwas um?","Wie werden Einzelemente zu einem ganzen Erscheinungsbild kombiniert?" und "Was können wir von der Natur lernen?" hat der Gestalter seine Schätze für uns katalogisiert. Die Faszination, die Clivio zum Erwerb dieser Produkte angeregt hat, schwingt deutlich in seiner Rede mit.
So führt er uns die Ergonomie einer handelsüblichen Fiskars Schere vor und beweist deren Genialität an der millionenfachen Zahl ihrer Kopien. Jeder Designer hole sich Inspiration aus anonym gestalteten Gegenständen, behauptet Clivio, und gesteht sogleich, den Entwurf, der seinem erfolgreichsten Modell zugrundeliegt, abgeguckt zu haben. Modell 289 pico für Lamy, findet seinen Ursprung in einem unbekannten Flohmarktfundstück. Sympathisch, diese Ehrlichkeit! Das Fossil, wie er sich selbst als Ulmer Absolvent bezeichnet, macht uns sogleich ein weiteres Geständnis: er arbeite nur mit Papier und Bleistift - den Computer, könne er nur für eMails benutzen. "Ich habe keine digitalen Produkte entworfen. Aus einem einfachen Grund: Ich kann's nicht."
Stattdessen begeistert ihn die Begreifbarkeit eines Gegenstandes - nicht die Elektronik. Meßgeräte wie der manuelle Belichtungsmesser aus längst vergessenen Zeiten, eine schweizer Kamera, die dank überladener Mechanik völlig unbedienbar ist, finden ebenso Einlaß in seine Sammlung, wie Brillen, und andere Drahtgegenstände. Clivios Schätze, die er mitgebracht hatte, sind nicht zuletzt aufgrund seiner spannenden Vortragsweise nach kürzester Zeit heiß begehrt. Sicherlich war ich nicht die einzige Frau, die mit der roten Kondukteurentasche geliebäugelt hat. Doch der Gestalter hat uns seine Produkte zum ansehen, nicht zum anfassen mitgebracht, und verteidigt sie tatkräftig. Mit einer riesigen, immaginären Einkaufsliste machen wir uns mit geöffneten Augen auf dem Weg unsere eigene Sammlung zu gründen und halten im Alltag Ausschau nach ergonomischen, intelligenten und formschönen Objekten.
Augusta Müller