Haus der Kunst:Der Bau und seine Funktion

NS-Dokuzentrum-Chef Winfried Nerdinger kritisiert die Pläne von Architekt David Chipperfield für das Haus der Kunst

Von Wolfgang Görl

Die Pläne des britischen Architekten David Chipperfield, das sanierungsbedürftige Haus der Kunst weitgehend wieder in den Originalzustand des Eröffnungsjahres 1937 zurückzuführen, hält der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums, für ein "Symptom fortdauernder Geschichtsverdrängung". In einem Vortrag am Mittwochabend im NS-Dokuzentrum warf Nerdinger dem Architekten "historische Unbedarftheit" vor. "Mit dem Chipperfield-Projekt", sagte Nerdinger, "wird die äußere und innere Renazifizierung des Hauses der Kunst zum Programm gemacht". Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, dass dieses Gebäude im funktionalen Zusammenhang mit einer Ideologie stehe, die zum Holocaust geführt habe, wollten Chipperfield und Okwui Enwezor, der Direktor des Hauses der Kunst, das Bauwerk lediglich als weithin sichtbaren "schönen Kunsttempel" inszenieren - nicht zuletzt, um die Besucherzahlen zu steigern, also aus kommerziellen Motiven.

"Sind Steine unschuldig? - Zum Umgang mit NS-Architektur", lautete der Titel des Vortrags, der so gut besucht war, dass ein zweiter Saal geöffnet werden musste, in dem Nerdingers Rede per Video übertragen wurde. Mit seiner Titelfrage spielte Nerdinger auf eine umstrittene Aussage des einstigen Haus-der-Kunst-Direktors Christoph Vitali an, derzufolge Mauern keine Schuld tragen. Nerdinger wies die Behauptung als irrelevant zurück, weil die Frage der Schuld ein Thema der Ethik sei, die nun mal nicht für tote Materie gelte. "Nur Menschen können schuldig werden."

Unmittelbar nach dem Krieg und in der Folgezeit, so Nerdinger, sei der Umgang mit den NS-Bauten weitgehend pragmatisch gewesen. Nur drei der für die NS-Ideologie besonders bedeutsamen Bauwerke, darunter die "Ehrentempel" am Königsplatz, habe man weggesprengt, andere repräsentative Nazibauten wurden von der Militärregierung und später von deutschen Institutionen genutzt. So residiert im 1940 vollendeten NS-Zentralministerium in der Ludwigsstraße heute das Bayerische Landwirtschaftsministerium, und in den einstigen "Führerbau" am Königsplatz ist die Musikhochschule eingezogen. Jahrzehntelang habe es keine Hinweistafeln an kontaminierten Bauten wie diesen gegeben, so wie generell der Umgang mit der NS-Architektur von kollektiver Verdrängung geprägt gewesen sei.

Wenn es aber unsinnig ist, von einer Schuld der Steine zu sprechen, dann ist es auch unsinnig, die Schuld in exorzistischer Manier aus den Mauern zaubern wollen, indem man die Gebäude etwa der Kunst oder der Musik widmet. Für Nerdinger ist es entscheidend, die Funktion im Auge zu behalten, welche die jeweiligen Bauten für die Nazis hatten. So wurden Schulen errichtet, um Kinder im militärischen Geist zu erziehen, und so dienten Kulturbauten der Präsentation rassistischer Kunst. Dementsprechend war auch das "Haus der Deutschen Kunst" ein "zentrales Propagandainstrument rassistischer Ideologie". Paul Ludwig Troost, Hitlers Lieblingsarchitekt, hat es konzipiert, damit die NS-Führung dort die ihr genehme Kunst ausstellen konnte - eine Kunst, in der die rassistische Ideologie Ausdruck fand, die zur Vernichtung der Juden und anderer Minderheiten führte.

Mit dieser Funktion des Gebäude habe man sich, so moniert Nerdinger, nach dem Krieg nicht tiefschürfend auseinandergesetzt. Vielmehr habe man die Vergangenheit mit Tünche und Verkleidungen kaschiert und sich eingebildet, man könne Wiedergutmachung leisten, wenn man die Werke der von den Nazis verfemten modernen Künstler präsentiere. Mit dem "kritischen Rückbau", den der damalige Direktor Chris Dercon betrieb, habe 2003 die "Renazifizierung" des Hauses der Kunst begonnen. Nerdinger hält Dercon aber zugute, dass er die Archiv-Galerie eingerichtet hat, in der, wenn auch unzureichend, an die Geschichte des Gebäudes erinnert wird. Chipperfield und Enwezor hingegen wirft Nerdinger vor, sich nicht der im Gebäude verankerten, einstigen Funktion bewusst zu sein: "Chipperfield glaubt anscheinend tatsächlich, es handle sich um eine großartige Museumsarchitektur." So bescheinige der Architekt dem Bau einen "unglaublichen Charakter" und behaupte, die Ausstellungsräume seien "am unschuldigsten", nur die Ehrenhalle und die Säulenreihe seien "problematisch", aber Monumentalität gehöre nun mal zu Großbauten, das sei auch beim Bau der Zentrale eines "Ölkonzerns"so. Mit solchen Statements werde die ideologische Funktion des Hauses im NS-Staat komplett ausgeblendet.

Weil "das Lernen am historischen Ort die wirkungsmächtigste Form der Aufklärung ist", fordert Nerdinger, mit Infotafeln, Dokumentationen und anderen Mitteln zu zeigen, welchem Zweck das Haus einst diente. In Chipperfields Masterplan aber fehlt "die sichtbare Auseinandersetzung mit dem Bau und seiner Funktion".

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