Architektur:Wie sich das Herz der Stadt immer wieder wandelte

Architektur: Der Marktplatz zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, mit Wachstube und Galgen: Das zeigt ein Gemälde von 1634.

Der Marktplatz zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, mit Wachstube und Galgen: Das zeigt ein Gemälde von 1634.

(Foto: Stadtmuseum)

Gerade wird der Marienplatz umgebaut, um die letzten Spuren des Autoverkehrs zu tilgen. Früher wurde hier vor allem Getreide verkauft - und manchmal jemand hingerichtet.

Von Wolfgang Görl

In seinem Roman "Das Erwachen" beschreibt der Schriftsteller Josef Ruederer (1861-1915), wie es auf dem Marienplatz, "dem Hauptplatze der Stadt, der Schlagader Münchens", in der Zeit um 1840 zuging: "Dort strömte heute um so stärker alles Leben zusammen, weil Samstag, also Schrannentag war. Ein im ersten Augenblicke unübersehbares Gewimmel, über das die verschiedenen Häuser herausragten. Gleich zur linken Hand, wo sich der etwas unregelmäßige Platz zu einer Verengung, dem Eiermarkte, zusammenschob und auf einem Hause das Bild des Riesen Onuphrius zeigte, lag das unförmige, alte Rathaus, ein breitgeformter, plumper Kasten mit drei hohen Fenstern in der Front und dem angrenzenden Türmchen.

In voller Breite gegenüber, zu ebener Erde eines bunt bemalten Hauses winkte, von Ketten und Schilderhäuschen abgeschlossen, die Hauptwache, zur rechten Hand prangte das Regierungsgebäude des Isarkreises, ein etwas aus dem Rahmen fallender, nicht übler Renaissancebau mit dem Fischbrunnen davor, und in der Mitte des Ganzen thronte auf einer roten Marmorsäule, neu vergoldet, die gekrönte Jungfrau mit dem Kinde. Was dem Platz aber erst die letzte Eigenart verlieh, das waren die nach italienischer Art erbauten Lauben, die sogenannten Finsteren Bögen, die rings in die stattlichen, mit Erkertürmchen verzierten Häuser des schönen Gevierts gebrochen waren."

Wer heute, mit Ruederers Buch in der Hand, die beschriebenen Gebäude sucht, wird nur wenige wiederfinden. Das Alte Rathaus gibt es noch, ebenso die Mariensäule. Auch der Fischbrunnen hat sich gehalten, wenngleich in neuer Gestalt. Alles andere ist, wie auch das Regierungsgebäude, entweder dem Bau des Neuen Rathauses respektive anderen Neubauten geopfert worden oder es wurde im Krieg zerstört. Das mittelalterliche Gepräge ist längst verschwunden, dem Besucher erscheint er eher als ein Sammelsurium diverser Baustile. So darf man vielleicht sagen: Der Wandel ist die Konstante dieses Platzes.

Als München gegründet wurde, war das Areal der merkantile Mittelpunkt der Stadt und blieb es über viele Jahrhunderte. Hier liefen die mittelalterlichen Handelswege zusammen, die Salzhandelsstraße von Salzburg nach Augsburg sowie die Süd-Nord-Route, die vom Alpenvorland nach Nürnberg führte. Einen Namen hatte das Geviert anfangs nicht, man sprach einfach nur vom "Markt" oder vom "Platz". Jeder wusste was gemeint war: der Ort, an dem die Kaufleute und Bauern ihre Waren anboten. Der Platz war aber auch eine Bühne herrschaftlicher Inszenierungen: Die Kaiser Sigismund, Friedrich III. und Maximilian zogen hier ein, und bei der im Rathausglockenspiel verewigten Hochzeit des späteren Herzogs Wilhelm V. mit Renata von Lothringen fand 1568 auf dem Marktplatz ein großes Ritterturnier statt.

Weitaus gruseliger ist ein anderer Aspekt seiner Vergangenheit. Der Platz war auch Hinrichtungsstätte: Hier wurde der betrügerische "Goldmacher" Bragadino, der dem Herzog eine Menge Geld abspenstig gemacht hatte, geköpft, und auch einige Anführer des Aufstands von 1705 (Sendlinger Mordweihnacht) starben durch die Hand des Scharfrichters.

Eine Mariensäule als Affront

Während des Dreißigjährigen Krieges, im Jahr 1638, ließ Kurfürst Maximilian I. als Dank für die Errettung des Landes und des Fürstenhauses vor den protestantischen Truppen mitten auf dem Areal eine Mariensäule errichten. Das war insofern ein Affront, weil allein die Stadt München durch ein königliches Privileg aus dem Jahr 1315 berechtigt war, auf dem Platz zu bauen. Der Kurfürst setzte sich darüber hinweg, nicht zuletzt, um der Bürgerschaft unmissverständlich zu demonstrieren, wer in der Stadt das Sagen hat.

Bis ins frühe 19. Jahrhundert fungierte der Platz gewissermaßen als Bauch der Stadt. Die Bauern boten hier Feldfrüchte, Obst, Milch, Käse, Eier und allerlei Getier feil, auch fremdländische Produkte wechselten den Besitzer. Die für die Ernährung wichtigste Ware aber war das Getreide, das nachweislich bereits im 13. Jahrhundert auf dem Karree verkauft worden war. Mit der Zeit bürgerte sich der Name "Schrannenplatz" ein, der nichts anderes war als die früher in Süddeutschland gängige Bezeichnung für einen Getreidemarkt. Erst im Oktober 1854 taufte die Stadt den Schrannenplatz in Marienplatz um, zu Ehren der Heiligen Jungfrau, der man das Ende einer Cholera-Epidemie gutschrieb.

Die Architektur der Neubauten ist bescheiden

Zu dieser Zeit hatte der Platz schon einen großen Teil seiner merkantilen Bedeutung eingebüßt. Den Wandel hatte König Max I. Joseph am 10. März 1807 eingeleitet, als er per allerhöchster Entschließung verfügte, den Markt auf den Hof des Heiliggeistspitals zu verlegen. Damit reagierte der Monarch auf das zunehmende Chaos, mit dem Händler und Bürger zu kämpfen hatten. Wie es seinerzeit zuging, steht in einem Bericht von 1797 zu lesen: "Am letzt verflossenen Samstag sah ich in München eine sehr große Schranne, die bis zum schönen Turm hinaufreichte, aber auch zugleich ein so großes Gedräng an Wagen und Pferden, und vermischtes Gewühl von Menschen", hieß es da.

"Es kann manchmal wohl nicht anders ablaufen, als dass an diesen Schrannentagen große Unglücke entstehen müssen, und unbehülfliche Alte und die kleinere Jugend darf sich an diesen Tagen wohl in Acht nehmen, um nicht niedergefahren zu werden, und sich Arme und Beine entzwei rädern zu lassen." Nach dem königlichen Machtwort verlagerte sich das Marktgeschehen auf das Heiliggeistgelände (Viktualienmarkt) und die 1853 fertiggestellte Schrannenhalle.

Umbau des Marienplatzes in München, 1967

Der Marienplatz als Baustelle um 1970 - die U- und S-Bahnröhren entstehen.

(Foto: Fritz Neuwirth)

Die nächste große Veränderung brachte der Bau des Neuen Rathauses mit sich, der zwischen 1867 und 1909 in drei Abschnitten vonstatten ging. Insgesamt 21 Bürgerhäuser, deren Laubengänge und feine Stuckfassenden den Marienplatz bis dahin geprägt hatten, mussten dem neugotischen Koloss des Architekten Georg von Hauberrisser weichen.

Im Zweiten Weltkrieg gingen dann auch die historischen Gebäude auf der Südseite verloren, darunter auch der "Peterhof" mit seiner feinen Giebelfassade, der, so schreibt der Architekturhistoriker Erwin Schleich, durchaus hätte gerettet werden können. Die Architektur der Neubauten ist, um es gnädig zu formulieren, bescheiden. Richtig auffällig ist hingegen der 1972 eröffnete Kaufhof, den der Münchner Baumeister Josef Wiedemann konzipiert hat. Mittlerweile hat das von Anfang an umstrittene Gebäude einige Freunde gefunden, man findet aber auch Beifall, wenn man ihm den Charme einer Trutzburg unterstellt. Dass man dafür das sehr ansehnliche Kaufhaus Roman Mayr niedergerissen hatte, wirft ein düsteres Licht auf die damaligen Verantwortlichen.

In den 1970er Jahren wurde der Marienplatz zur Fußgängerzone

Auf alten Fotos, die um 1900 aufgenommen wurden, ist zu sehen, wie Pferdetram, Droschken und die ersten Autos über den Marienplatz rollen. Und ältere Münchner erinnern sich noch, wie sie in den Sixties mit dem Auto bis zum Rathaus fahren konnten. Damit war Schluss, als der Platz Anfang der Siebzigerjahre zur Fußgängerzone wurde. Zuvor war er Gegenstand ausgiebiger Wühlarbeiten, die der Eröffnung der U- und S-Bahnstation Marienplatz vorausgingen.

Auch wenn der Verkehr verschwunden ist: Eine Piazza von italienischer Qualität ist der Marienplatz nicht unbedingt. Aber er ist attraktiv genug, um sich wohl zu fühlen, wenn man an heißen Tagen auf dem Rand des Fischbrunnens Platz nimmt und den Touristen zusieht, wie sie dem Rathaus-Glockenspiel zusehen. Dass immer derselbe Ritter gewinnt, müssen sie ja nicht wissen.

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