50 Jahre Neuperlach:Neuperlach: Wohngebirge mit Alpenblick

50 Jahre Neuperlach: Die Grundsteinlegung von Neuperlach jährt sich zum 50. Mal.

Die Grundsteinlegung von Neuperlach jährt sich zum 50. Mal.

(Foto: Google Maps)
  • Schon in den 1950er Jahren hatte München ein Wohnungsproblem, neue Quartiere mussten gebaut werden.
  • Die Lösung damals lag unter anderem im Münchner Südosten: In Neuperlach entstand eine "Entlastungsstadt".
  • Am 11. Mai 1967 wurde der Grundstein für das damals größte Wohnungsbauprojekt der Republik gelegt.
  • Viele Bewohner der ersten Stunde hängen an ihrem Viertel.

Von Anna Hoben

Gute Wohnlage geht immer auch mit einer guten Aussicht einher, und so führt Wolfgang Rupprecht gleich als erstes auf den Balkon. "Wendelstein, Wallberg, Zugspitze, alles da", sagt er, "unverbaubarer Alpenblick." Es gibt Wohnviertel, deren Bewohner haben den Eindruck, dass sie sich ständig dafür rechtfertigen müssen, dass sie wohnen, wo sie wohnen. Neuperlach ist so ein Viertel. Zu hoch die Hochhäuser, zu monoton die Architektur, zu hässlich das Gesamtbild - so gehen die gängigen Klischees.

Rupprecht, überzeugter Neuperlacher seit fast einem halben Jahrhundert, hält gerne dagegen. Er steht also auf seinem Balkon, Gerhart-Hauptmann-Ring, elfter Stock, Blumenkästen mit Froschfiguren. "Die gängigen Meinungen über Neuperlach sind doch nur eine Summe von Vorurteilen aus den Anfangsjahren", sagt der 71-Jährige. So weit und schön die Aussicht, so gut die Infrastruktur, so praktisch die Anbindung an die Innenstadt - so geht Rupprechts Version vom Wohnen im Südosten. Blickt man von weiter weg auf die Trabantenstadt, sieht sie selbst aus wie ein Gebirge, eine Wohngebirgskette vor der Alpenkette.

Seine Eltern hatten einst mitten in München gewohnt, in der Nymphenburger Straße. Als das Haus gegen Kriegsende ausgebombt wurde, flüchteten sie nach Landshut, wo ihr Sohn Wolfgang geboren wurde. Von dort aus ging es als nächstes nach Freising, "in München herrschte damals noch eine Zuzugssperre". 1957 ergatterte die Familie eine Sozialwohnung in Obergiesing. Endlich waren sie wieder in München.

Aber München, das hieß: wenig Platz, vierter Stock, kein Aufzug, Ofenheizung. Und so stieß die Werbung des Wohnungsbaukonzerns Neue Heimat für die Siedlung am Stadtrand bei ihnen auf interessierte Ohren. Im Wohnzimmer kramt Rupprecht einen Band mit dem Titel "Entlastungsstadt Perlach in München" hervor. So wurde das Projekt damals genannt, der Name Neuperlach kam erst später.

Für 71 000 D-Mark kauften seine Eltern eine Wohnung in der Albert-Schweitzer-Straße, im April 1969 zog die Familie ein. Wolfgang Rupprecht war damals ein 23-jähriger BWL-Student, und Neuperlach war ein Neuanfang. Neuperlach, das hieß: Neubau, mehr Wohnfläche drinnen, mehr Grün draußen, Zentralheizung, Lift, Balkon.

Am Anfang stand es schlecht um die Infrastruktur

Was "nicht ganz so lustig" war, wie Rupprecht es ausdrückt: die Versorgungssituation. "Am Anfang gab es einen Markt und einen Supermarkt in einer Baracke." Doch 1970 wurde das erste Einkaufszentrum eröffnet. "Die Infrastruktur hat gut Schritt gehalten." Heute habe man sowieso alles, was man brauche: ein Krankenhaus, diverse Ärzte, mehrere Einkaufszentren. "Das einzige, was fehlt, ist ein Baumarkt." Kurze Pause. "Und noch ein Augenarzt."

Was die Verkehrsanbindung betraf, mussten die Neuperlacher mehr Geduld aufbringen. Bevor die Tram 1970 nach Neuperlach verlängert wurde, musste man am Michaelibad in den Bus umsteigen. "Als 1981 die U-Bahn eröffnet wurde, das war eine Mordserleichterung", erinnert sich Rupprecht. Davor habe er auf dem Weg zu seiner Arbeit bei Löwenbräu mit der S-Bahn jeden Tag "in der Röhre gesteckt".

Wie eine kleine Stadt vor der großen Stadt

Wieder wegzuziehen aus Neuperlach, das wäre ihm nie eingefallen. Von der elterlichen Wohnung zog er bald in eine "Junggesellenbude" am Annette-Kolb-Anger. Seine dritte Wohnung in Neuperlach schließlich war die, in der er noch heute mit seiner Frau Ursula lebt: von der U-Bahn-Station Neuperlach-Zentrum einmal über den Hanns-Seidel-Platz. Die ewige Brache, auf der einst Schafe grasten und Zirkusse gastierten. Rupprecht holt ein Fotoalbum, in dem er die Entwicklung des Viertels dokumentiert hat, und zeigt ein Lieblingsfoto: Elefant vor Hochhäusern. Heute parken Autos auf dem Platz, in der Zukunft sollen dort Wohnungen und ein lebendiges Stadtteilzentrum entstehen.

15 Jahre saß der SPD-Mann Rupprecht im Bezirksausschuss, heute engagiert er sich als Vorsitzender des Verwaltungsbeirats für die Eigentümergemeinschaft der 200 Wohnungen in der Anlage. Morgens geht er rüber in sein Büro, mit Aktentasche, "er ist immer am Arbeiten", sagt seine Frau Ursula.

Grundsteinlegung von Neuperlach jährt sich heuer zum 50. Mal.

Wolfgang und Ursula Rupprecht auf ihrem Balkon im elften Stock.

(Foto: Florian Peljak)

Sein Büro, das ist eine kleine Zweitwohnung, die sie 2008 gekauft haben, im selben Stockwerk, er muss nur einmal über den grünen, schalldämpfenden Teppichboden im Treppenhaus. Und wenn Verwandte während des Oktoberfestes Unterschlupf in München suchen, finden sie ihn hier. In 20 Minuten sind sie mit der U-Bahn an der Theresienwiese.

Einen Kilometer entfernt, in der Albert-Schweitzer-Straße, wohnt Johanna Mallue. Natürlich kennt sie die Rupprechts, "es sind ja immer die gleichen, die sich engagieren". Die sich in den Anfangszeiten zusammenschlossen, um für Verbesserungen im Viertel zu kämpfen. Auch bei Mallue, einer zackigen Frau von 72 Jahren, geht es als erstes auf den Balkon, bevor sie im Wohnzimmer Kuchen serviert. "Ich muss das Perlach immer verteidigen", das stellt auch Mallue gleich klar. Natürlich gebe es Probleme im Viertel, "aber wo gibt's die nicht?" Wer schimpft, findet sie, "hat sich nicht ordentlich informiert".

Eine Wohnung in Haidhausen hatten sie gehabt, ihr Mann und sie, so eine Wohnung, um die sich heute alle reißen, Altbau, 3,20 Meter hohe Räume, aber eben: Ofenheizung. "Wir haben uns damals gesagt, frischere Luft und eine Wohnung mit Heizung, das wär' schon was." Mit ihrer damals vierjährigen Tochter gehörten sie ebenfalls zu den Ersteinzüglern in der neuen Trabantenstadt. Erst im Haus nebenan, ab 1988 dann in der jetzigen Wohnung: siebte Etage, 115 Quadratmeter plus zwei riesige Terrassen.

20 Jahre in der Riemer Einflugschneise

Klar, am Anfang war das Viertel eine ewige Baustelle, dazu kam der Flugverkehr, mehr als 20 Jahre lang wohnten sie noch in der Einflugschneise des Flughafens in Riem. Aber wie der Wohnungsbaukonzern Neue Heimat und die Stadt das Viertel geplant haben, dafür findet sie nur lobende Worte. Wenige Monate nach dem Einzug war auch schon die Schule fertig. Um dort hinzukommen, mussten die Kinder nie die Straße überqueren, es gab Unterführungen und Brücken.

Mit ihrem Mann hat Johanna Mallue fast die ganze Welt bereist. Ihre Wohnung erzählt Dutzende Geschichten davon. Sie sind immer gern zurückgekommen in ihr Neuperlach, von der Autobahn aus sah es jedes Mal aus wie ein Klein-Chicago. Eine kleine Stadt am Rand der großen Stadt.

Grundsteinlegung von Neuperlach jährt sich heuer zum 50. Mal.

Johanna Mallue wohnt seit fast 50 Jahren in Neuperlach.

(Foto: Florian Peljak)
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