Hochhaus-Debatte:Die Stadt braucht ein Konzept

Architekturprofessor Dietrich Fink fordert einen Masterplan, wo und in welcher Höhe in München Hochhäuser gebaut werden können. Der soll mit einem Bürgerentscheid beschlossen werden

Interview von Andreas Remien

Seit mehr als zehn Jahren forscht Dietrich Fink über die Themen Verdichtung von Städten und die Rolle von Hochhäusern. Er leitet den Lehrstuhl für städtische Architektur an der TU München und ist Mitinhaber des Architekturbüros Fink+Jocher.

SZ: In Frankfurt entstehen bald 160 und 185 Meter hohe Wolkenkratzer, in Berlin könnten bald allein am Alexanderplatz neun Hochhäuser stehen. In München erhitzt schon ein 75 Meter hoher Turm am Bahnhof die Gemüter. Warum tut sich die Stadt so schwer mit der Hochhaus-Diskussion?

Dietrich Fink: München hat im Vergleich zu anderen Städten eine sehr starke bürgerliche Tradition. Das ist heute so und das war schon in den Zwanzigerjahren so, als die Sehnsucht nach dem Hochhaus aus Amerika nach München kam. Bereits damals gab es eine sehr breite Debatte, ob man die historisch gewachsene Stadt mit hohen Häusern ergänzt. Solche Überhöhen waren bis zu dieser Zeit ausschließlich sakralen oder repräsentativen Bauten vorbehalten. Der Architekt Herman Sörgel hat in dieser Zeit umfangreiche Planungen vorgelegt, die Hochhäuser rund um den Altstadtring vorsahen. Mit dem Technischen Rathaus an der Blumenstraße wurde nur eins davon gebaut. Es ist bis heute eines der schönsten Gebäude in München.

Warum wird die Debatte oft sehr emotional geführt?

Die Bürger Münchens identifizieren sich sehr stark mit dem Bild der Stadt. Bereits wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verständigte man sich auf den Wiederaufbau der zerstörten Stadt. Dies zeigt den Willen der Bürgerschaft, bestehende Werte zu konservieren, und die Skepsis gegenüber der Alternative einer Veränderung oder gar eines Neuanfangs. Deswegen begegnet man dem Hochhaus, welches das Bild der Stadt aufgrund seiner physischen Präsenz ändern wird, mit vermutlich höherer Skepsis als in anderen Städten. Und dies, obwohl es in München sehr viele gute Beispiele für gelungene hohe Häuser gibt. Das vielleicht schönste Hochhaus ist das BMW-Hochhaus. Ein Haus, das wegen seiner unglaublichen Wirkkraft von den allermeisten Münchnern geliebt wird.

Heute ließe sich so ein Projekt wohl, wenn überhaupt, erst nach einem langwierigen Streit realisieren.

Das mag sein. Die gesellschaftliche Aufbruchstimmung der Siebzigerjahre scheint uns im Augenblick abhandengekommen zu sein. Die erhitzten Diskussionen um jedes neue Hochhaus als Einzelprojekt ließen sich aber weitgehend ausräumen durch einen abgestimmten Masterplan der Gesamtstadt, der beschreibt, wo und in welcher Höhe hohe Häuser gebaut werden sollen. Wir brauchen dringend diesen Masterplan. Das ist die Kernfrage der aktuellen Diskussion. Ohne ein abgewogenes Hochhaus-Konzept wird es bei jedem neuen Projekt wieder zum Streit kommen.

Wie könnte so ein Plan aussehen?

Zunächst einmal ist es wichtig, dass auf breiter Ebene intensiv über ein Konzept diskutiert und auch gestritten wird. Danach könnte man darüber mit einem Bürgerentscheid abstimmen lassen. In dem Masterplan könnte zum Beispiel festgehalten werden, dass innerhalb des Altstadtrings keine Hochhäuser entstehen sollen, bis zum Mittleren Ring nur Gebäude bis 60 Meter Höhe und in den äußeren Bezirken auch Höhen von hundert Metern oder mehr erlaubt wären.

Welche Orte wären geeignet?

Es gibt eine Menge von Faktoren, die für Verdichtung sprechen, zum Beispiel die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel wie U-Bahn oder S-Bahn. Und es gibt eine Menge von limitierenden Faktoren, zum Beispiel die Wahrung teilstädtischer Identitäten, bauhistorisch sensible Kontexte, empfindliche Blickachsen und weitere. Die nördlichen Stadtareale wären daher generell sicher besser geeignet als die südlichen. Man könnte auch Cluster definieren, wo Gruppen von Hochhäusern entstehen könnten.

Hochhaus-Debatte: Professor Dietrich Fink leitet den Lehrstuhl für städtische Architektur an der Technischen Universität München.

Professor Dietrich Fink leitet den Lehrstuhl für städtische Architektur an der Technischen Universität München.

(Foto: oh)

Ist ein Ensemble von mehreren Hochhäusern die bessere Lösung?

Nicht unbedingt. Das kann man nur im Einzelfall entscheiden. Aber in Clustern entsteht natürlich eine ganz eigene Eindrücklichkeit der Silhouette. Nehmen Sie zum Beispiel Frankfurt. Dort stehen nicht viele schöne Hochhäuser. Aber die Silhouette ist beeindruckend.

Würden 180 Meter hohe Türme auch zu München passen?

Wichtig ist, in eine Debatte zu kommen, wie wir als Bürger unsere Stadt in der Zukunft haben wollen. Warum sollte man von vornherein eine Idee ausschließen?

Ist der Bau von Hochhäusern ein Mittel, um die Wohnungsnot in den Griff zu bekommen?

Das Hochhaus kann eines von vielen Mitteln sein. Wir müssen mit dem nicht vermehrbaren Gut Land sehr bewusst umgehen. Und es steht ja auch außer Frage, dass man in einem Hochhaus sehr gut wohnen kann. Das Hochhaus ist ein unglaublich begehrter Typus, nicht nur in Asien oder den USA, sondern auch in Europa. Die Assoziation mit sozialen Brennpunkten ist hier längst überholt.

Heute besteht eher die gegenteilige Gefahr, dass reine Luxushäuser entstehen.

Hier kann die Stadt mit verschiedenen Steuerungsmitteln gestaltend eingreifen - so, wie es bereits schon lange sehr erfolgreich praktiziert wird. Der Münchner Weg der Sozialgerechten Bodennutzung zum Beispiel verpflichtet die bauenden Akteure, öffentlich geförderte Wohnungen zu schaffen. Das hohe Haus muss also keineswegs ein reines Luxushaus sein.

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