Architektur für die Expo:Spielerisch deutsch

Lennart Wiechell ist der leitende Architekt des deutschen Pavillons für die Weltausstellung in Mailand - der Bau besticht nicht nur durch Rationalität

Von Alfred Dürr

Für einen Architekten muss es ein merkwürdiges Gefühl sein, wenn er ein herausragendes und auch kostspieliges Projekt entwirft, dieses dann realisieren kann - aber schon nach relativ kurzer Zeit existiert dieses Werk gar nicht mehr. Lennart Wiechell, 42, ist der leitende Architekt des Deutschen Pavillons für die Weltausstellung Expo, die vom 1. Mai bis zum 31. Oktober in Mailand stattfindet. Zwei Wochen vor Eröffnung des Spektakels, an dem 148 Nationen und Organisationen teilnehmen, sind die Bauarbeiter mitten im Endspurt. Aber man überlegt bereits, wie all die verbauten Materialien wiederverwertet werden, wenn die Expo im Herbst ihre Pforten für immer schließt. Alles muss weg, das Gelände wird anderweitig genutzt.

Lennart Wiechell hat genug Erfahrung mit temporären Bauten. Er ist seit 2008 geschäftsführender Partner bei dem Münchner Büro Schmidhuber, das vor 30 Jahren in Schwabing gegründet wurde. Die Firma unterscheidet sich von klassischen Architekturbüros. Das Team mit mehr als 70 Leuten besteht schließlich auch aus Designern, Materialspezialisten und Kommunikationsexperten. Diese inszenieren zusammen mit den Architekten weltbekannte Unternehmen mit deren Produkten, etwa auf Ausstellungen oder bei sonstigen Präsentationen. Möglichst kreativ und auffällig einer Markenidee baulichen Ausdruck zu verschaffen - das sieht Wiechell als seine Herausforderung.

Einem ganzen Land auf diese Weise Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist für den Architekten eine der größten Aufgaben überhaupt. In Mailand geht es unter dem Motto "Feeding the Planet, Energy for Life" um Ideen für eine nachhaltige Ernährung der Weltbevölkerung. Was Deutschland dazu beitragen kann, soll der Pavillon vermitteln - auf möglichst offene, sympathische und auch humorvolle Weise, verspricht das Konzept.

Demnach soll die deutsche Feld- und Flurlandschaft in Architektur umgesetzt werden. Das Gebäude wird geprägt durch eine sanft ansteigende Ebene, ein Deck aus heimischen Hölzern, auf dem man flanieren kann, und durch die Themenausstellung im Innern. Zentrales Gestaltungselement sind sogenannte Membrandächer in Gestalt aufstrebender Pflanzen. Über diese "Ideen-Keimlinge" oder "Solar-Trees" mit einer innovativen Solartechnik redet Wiechell besonders engagiert.

Denn der Deutsche Pavillon in Mailand sei das erste große internationale Architekturprojekt, in dem ein solches Produkt eingesetzt werde. Anders als bei herkömmlichen Solarmodulen geht es hier um dünne Folien, die man bedrucken und in jede Form bringen kann. Diese Folien werden in ein filigranes Stahlnetz gehängt. Sie funktionieren in alle Himmelsrichtungen, sogar bei diffusem Licht kann Strom erzeugt werden. Dieser wird am Fuß der fünf "Ideen-Keimlinge" gesammelt. Mit der Energie werden diese High-Tech-Bäume dann bei Nacht von unten angestrahlt. Einen geschlossener Energie-Kreislauf nach dem Vorbild der Natur soll das darstellen, denn die Solar-Trees versorgen sich selbst.

Wiechell setzt sich auf die Spur solcher Trends und versucht sie in seiner architektonischen Arbeit weiterzudenken: Wo kann man diese Folien überall an Fassaden, in der Landschaft oder etwa auch auf Abdeckungen von großen Lastwägen einsetzen?

Nach seinem Studium der Architektur in Braunschweig und Florenz hat Wiechell in verschiedenen renommierten Büros in Deutschland und Italien gearbeitet. Er spricht fließend italienisch, seine Liebe zu Italien ist durch viele Reisen in das Land geprägt worden. Dass er dort jetzt einen wesentlich von ihm entworfenen Bau realisieren kann, freut ihn besonders. Das schönste Kompliment für den Pavillon, sagt er, stamme von einem hochbetagten Bauingenieur aus Turin. In dem Bau drücke sich sowohl die deutsche Rationalität, aber eben auch das Spielerische aus - ein Image, das man den Menschen nördlich der Alpen nicht gerade nachsagt.

Lennart Wiechell hat unter anderem auch bei Graft Architekten in Berlin gearbeitet, die für extravagante Arbeiten stehen. Dort habe sich sein Blick für visionäre Architektur gefestigt. Ausdruck dessen ist zum Beispiel auch der Deutsche Pavillon für die Expo 2010 in Shanghai oder ein Museums- und Veranstaltungsbau in China. Die Arbeit hat viele Reisen rund um den Globus zur Folge, aber koordiniert werden die internationalen Arbeiten von der Heimatbasis im Stadtteil Gern aus. Dort residiert das Büro Schmidhuber in einem Haus, das in den Fünfzigerjahren im Stil einer italienischen Villa erbaut wurde. Das Gebäude wirkt nicht groß und protzig, es ist teilweise eingewachsen und eher unauffällig. Dass hier ein weltweit agierendes Unternehmen tätig ist, vermutet man nicht.

Das Haus strahlt Aktivität mit Understatement aus. Uns so gelassen wirkt auch Lennart Wiechell. Dass so kurz vor Eröffnung noch nicht alles fertig ist im Deutschen Pavillon in Italien, scheint ihn nicht sonderlich nervös zu machen: "Die tägliche Improvisation gehört dort einfach dazu, bestimmte Dinge klappen nicht immer so wie sie sollen, aber die Italiener können damit auch gut umgehen."

Ja, und dann ist da noch die Frage, wie man mit dem Gefühl umgeht, dass der schöne Bau schon bald wieder der Vergangenheit angehört. Man wisse von Anfang an, dass das Werk auf temporäre Nutzung angelegt sei, sagt Wiechell: "Die Nachhaltigkeit findet im Kopf statt, nicht nur bei mir, sondern auch bei den Millionen von Besuchern, die diesen Pavillon sicher sehr intensiv wahrnehmen werden." Als Architekt erlebe er jeden Moment der Entstehung intensiv: "Wenn das Bauwerk dann steht und es sich im Sonnenlicht immer wieder anders darstellt, dann bleibt das als Eindruck für immer."

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