Debatte in München:Warum der BR den Konzertsaal bauen dürfte

Gasteig Konzertsaal Sanierung Umbau

Stadt und Freistaat haben sich auf eine gemeinsame Sanierung des Gasteigs geeinigt und die Pläne für einen Konzertsaal-Neubau verworfen.

(Foto: Lukas Barth)

Welcher Vorschlag ist sinnvoll? Welche Idee dagegen sinnlos? In der Münchner Konzertsaal-Debatte bleiben auch bei Lesern viele Fragen offen. Die SZ gibt Antworten.

Von F. Kotteder, R. Argauer, Ch. Krügel und A. Dürr

Warum kann der BR den neuen Konzertsaal für seine Orchester nicht einfach selbst bauen? Verbietet das wirklich die EU?

Darf er nicht oder will er nicht? Die Führungsspitze des Bayerischen Rundfunks bedauert in der Konzertsaaldebatte seit Jahren wortreich, dass EU-Richtlinien dem Sender verbieten, selbst einen Saal für seine Orchester zu bauen oder sich an dessen Finanzierung zu beteiligen. Dem BR sei es nur erlaubt, für Miete oder technische Ausstattung sowie das Erstbelegungsrecht zu zahlen - also alles, was nötig sei, um Programminhalte zu produzieren.

Fragt man nach, um welche Richtlinien es sich dabei handelt, so wird man auf zwei Quellen verwiesen - auf das Amtsblatt der Europäischen Union vom 27. Oktober 2009 und die darin enthaltene "Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" und auf ein 92-seitiges Schreiben der EU-Kommission an Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vom 24. April 2007. In beiden Texten findet sich kein Hinweis darauf, dass der Bau eines Saals gegen EU-Recht verstoße.

Vielmehr wird in beiden Texten deutlich gemacht, dass es letztlich Sache der einzelnen Länder sei, was sie als Auftrag ihrer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ansehen - so lange sie damit "die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft". Problematisch wäre es auch, wenn eine Rundfunkanstalt mit Gebührenfinanzierung ein Wirtschaftsunternehmen gründen würde, das private Konkurrenten vom Markt verdrängte und große Profite einfahren würde. Beides wäre aber bei einem Konzertsaal nicht der Fall: Der E-Musiksaal, der ohne Zuschüsse auskommt, muss erst noch erfunden werden.

Der BR will der privaten Konkurrenz keinen Angriffspunkt bieten

Professor Albrecht Hesse, Juristischer Direktor des BR und Stellvertreter von Intendant Ulrich Wilhelm, räumt ein, was die EU-Richtlinien angeht: "Schwarz auf Weiß steht natürlich nicht in der Entscheidung der EU-Kommission, dass der BR keinen Konzertsaal bauen darf. Es ging in der Entscheidung ja auch generell um die Finanzierung von ARD und ZDF." Tatsächlich geht es dem BR eher um mögliche Vorwürfe, Bayerns öffentlich-rechtliche Anstalt sei überfinanziert, wenn sie Geld übrig habe, um einen Konzertsaal zu bauen. Hesse: "Wir befürchten, dass die Finanzierung eines Konzertsaals von unseren Konkurrenten als Überkompensation gewertet wird und als Hebel benutzt wird, unsere Finanzierung insgesamt anzugreifen. Die Aggressivität, die uns da entgegenschlägt, ist enorm."

Der privaten Konkurrenz keinen Angriffspunkt zu bieten: Das ist also der eigentliche Grund, warum der Bayerische Rundfunk den Konzertsaal nicht selber bauen will.

Denn die EU-Kommission interessiert vor allem eine mögliche Wettbewerbsverzerrung durch Zuschüsse oder zu hohe Gebühren, in die Belange der Sender mischt sie sich sonst weniger ein, als man gemeinhin annimmt. "Die Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten", heißt es etwa im Amtsblatt von 2009 lapidar.

Und die Pressestelle der EU-Kommission betont auf Nachfrage: "Der Kulturbereich wird von den Regelungen zu staatlichen Beihilfen nur erfasst, solange er kommerzieller Natur ist." Das heißt mit anderen Worten: Der Freistaat Bayern könnte im Rundfunkgesetz festschreiben, dass er den Bau und Betrieb eines Konzertsaales für die BR-Orchester als öffentlichen Auftrag ansieht, und das Problem wäre gelöst. Professor Hesse bestätigt: "Das wäre theoretisch möglich und ist ein interessanter Ansatz, über den man reden kann. Wobei dann die Frage der Finanzierung mit der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs noch zu klären wäre."

Bislang hat die EU-Kommission übrigens noch keinem öffentlich-rechtlichen Sender den Bau und Betrieb eines Konzertsaals verboten. Tatsächlich sind in der EU häufig Säle von Rundfunkanstalten gebaut worden. So betreibt der Schwedische Rundfunk in Stockholm schon seit Ende der Siebzigerjahre das Konzerthaus Berwaldhalle. Die beiden Pariser Orchester treten unter anderem auch im "Auditorium de Radio France" auf, das der französische Rundfunk erst vor wenigen Monaten eröffnet hat. Das finnische Radio-Symphonie-Orchester hat mit dem "Musiikkitalo" in Helsinki ebenfalls vor kurzem einen neuen Saal bekommen, finanziert wurde er vom Finnischen Rundfunk gemeinsam mit der Stadt und der Musikhochschule.

In Kopenhagen eröffnete der Dänische Rundfunk 2009 sein eigenes Konzerthaus mit vier Sälen. Der Sender musste den Saal am Ende allein bezahlen, weil Stadt und Staat wegen horrender Kostensteigerungen aus der Finanzierung ausgestiegen waren. Unter den Folgen hat der Dänische Rundfunk bis heute zu leiden. Erst vor kurzem mussten wieder 150 Mitarbeiter entlassen werden, um das Sparprogramm infolge des Finanzdebakels einhalten zu können.

Möglicherweise liegt es ja auch an diesen Erfahrungen der dänischen Kollegen, weshalb der BR keine große Lust hat, einen Konzertsaal nur auf eigene Rechnung zu bauen.

Ist die Klassik nicht ein einziger Subventionsbetrieb?

Diese Summen erschrecken erst einmal: Die Stadt München gibt um die 14 Millionen Euro pro Jahr für die Münchner Philharmoniker aus. Bei einem Gesamtbudget von gut 21 Millionen Euro erreicht das Orchester also einen Kostendeckungsgrad von 33,7 Prozent. Die Staatsoper wird von Stadt und Staat gar mit 64,7 Millionen unterstützt. Jede Opernkarte wird also mit 109 Euro bezuschusst. Richtig preiswert sind da die Münchner Symphoniker: Von dem Gesamtbudget des Vereins - 4,5 Millionen Euro - trägt etwas mehr als die Hälfte der Staat. Und noch günstiger ist das Münchner Kammerorchester: Die gut drei Millionen Euro Gesamtbudget werden zur Hälfte von Stadt und Staat getragen - da spielen allerdings auch nur 26 festangestellte Musiker, inklusive des Dirigenten.

Auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wird letztlich zum Teil öffentlich getragen - auch wenn es sich da nicht so leicht in Zahlen ausdrücken lässt, denn es bekommt keine anderen Zuwendungen als die vom Bayerischen Rundfunk (der sich aber wiederum über Rundfunkgebühren finanziert). Andererseits zeigen die steigenden Abonnenten-Zahlen der Orchester und die hohe Auslastung der Konzerte, dass die Subvention der Klassik letztlich den Bürgern dient.

Wenn es keine finanzielle Unterstützung der Klassik durch die öffentliche Hand gäbe, würden die zwangsläufig erhöhten Eintrittspreise die Klassik erst wirklich elitär machen. Ein Normalverdiener könnte es sich dann schlicht nicht mehr leisten, regelmäßig klassische Konzerte zu besuchen.

Könnte ein Stagione-Betrieb der beiden Orchester in den beiden Sälen funktionieren?

Zwei Orchester teilen sich zwei Säle, ein 14-tägiger Wechsel sorgt für Gerechtigkeit: Die Idee, die beiden Münchner Orchester in einem sogenannten Stagione-Betrieb zu organisieren, klingt verlockend. Traditionell gibt es in der Theaterlandschaft zwei Systeme der Spielplangestaltung. Während im Stagione-Betrieb eine Produktion über einen begrenzten Zeitraum hinweg im Block gespielt und anschließend abgesetzt wird, erarbeiten stehende Häuser mit einem festen Ensemble meist ein Repertoire, das über mehrere Jahre im Spielplan bleibt und sukzessive durch Neuproduktionen ergänzt wird.

Diese Systeme haben sich an Opernhäusern und Theatern entwickelt. Die Arbeitsweise eines großen Orchesters ist aber eine andere. Ein Orchester sollte generell ein breites Repertoire haben - also in der Lage sein, innerhalb kurzer Probenzeit relativ viele Stücke aus der Musikgeschichte spielen zu können. Die Konzerttermine und die Werke werden ein bis zwei Jahre im voraus mit Gastdirigenten und -solisten abgestimmt und nach einer kurzen Probenphase zwei bis drei Mal aufgeführt.

Wenn sich nun die Programmgestaltung der Orchester nicht nach den Gastmusikern und deren Verfügbarkeit, sondern nach dem Saal richtet, in dem gerade Station gemacht wird, müsste dieses System neu strukturiert werden. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, auch weil sich der internationale Klassikbetrieb wohl nicht auf ein spezielles "Münchner System" umstellen würde.

Warum wird die Kernsaison nicht ausgeweitet? Und warum gehen beide Orchester nicht abwechselnd auf Tour?

Die Idee ist bestechend einfach: Die Münchner Philharmoniker und das BR-Symphonieorchester gehen abwechselnd auf Tournee, in dieser Zeit kann eines der Orchester die Philharmonie am Gasteig ganz für sich allein nutzen - Konzertsaal-Streit gelöst. "Das würde aber nur funktionieren, wenn die ganze Musikwelt auf München Rücksicht nehmen würde", sagt Christian Beuke, Pressesprecher der Philharmoniker.

Tut sie aber nicht, eher im Gegenteil: Die Spielpläne der großen Konzerthäuser dieser Welt in Zentren wie London, New York oder Tokio sind so eng getaktet, dass selbst Spitzenorchester wie die Münchner Ensembles um Termine anstehen müssen. Buchungen drei bis vier Jahre im Voraus seien keine Seltenheit, so Beuke.

Sowohl bei den Philharmonikern als auch bei den BR-Symphonikern laufen seit langem Vorbereitungen für USA-Tourneen - zu denen beide Orchester aber erst 2016/17 aufbrechen werden. "Orchestertourneen sind logistische Großleistungen, die jahrelangen Vorlauf brauchen", sagt Peter Meisel, Sprecher des BR-Symphonieorchesters. Es müssen nicht nur Spielpläne und Säle abgeklärt werden, sondern die Termine von Solisten und des Chefdirigenten, Flugzeiten, Transport und Unterkünfte.

Und schließlich muss alles noch in Einklang mit dem Heimatmarkt gebracht werden: Beide Orchester sollen ja auch die Münchner Abonnenten mit Konzerten bedienen. Bei dieser Komplexität noch Rücksicht auf die Tourtermine des anderen Orchesters zu nehmen, sei nicht möglich, sagen Beuke und Meisel übereinstimmend.

Ließe sich dann nicht wenigstens die Konzertsaison in München ausdehnen? Auch das ist nach Ansicht beider Orchester nicht leicht, denn der Münchner Kalender hat Besonderheiten, die berücksichtigt werden wollen: das Oktoberfest, die Pfingstferien - und die Biergartensaison. "Ab Mai ist schönes Wetter in München ein Risikofaktor", sagt Peter Meisel.

Will heißen: In einem schönen Frühsommer ist der Münchner ein sehr unzuverlässiger Konzertbesucher, zumal die Konkurrenz dann auch groß ist - mit Tollwood, Filmfest, Open-Air-Konzerten. Beide Orchester spielen trotzdem bis in den Juli hinein, aber das Gros an Abo-Konzerten und großen Solisten-Auftritten muss bis zu den Pfingstferien absolviert sein.

Auch die Herbstsaison kann nicht beliebig ausgedehnt werden. Die Philharmoniker spielen ohnehin schon im September, obwohl "die Zeit des Oktoberfestes keine gute Konzertzeit ist", so Christian Beuke. Die Philharmoniker müssen aber fast 17 000 Abonnenten bedienen und deshalb 85 Konzerte pro Saison spielen - und die wollen im Kalender erst mal untergebracht sein.

So entsteht eine Hauptsaison vom Ende der Wiesn bis zu den Pfingstferien, mit Engpässen im Dezember und kurz vor Ostern - und dabei fährt da schon das BR-Symphonieorchester regelmäßig zum Festival nach Luzern.

Kann man ein Gebäude wie den Gasteig so einfach entkernen?

Das Innere des Philharmonie-Traktes vollständig zu entfernen und durch einen neuen Konzertsaal samt den dazu gehörenden Einrichtungen zu ersetzen, ist technisch machbar. Die Frage ist nur, ob das eine "einfache" Angelegenheit wird.

Der Architekt Hermann Thalhofer äußert da starke Zweifel. Im Fall einer Entkernung würde massiv in einen ganzheitlichen, statisch berechneten und konstruierten Baukörper eingegriffen. Man brauche während des Umbaus sehr aufwendige Stützkonstruktionen für Dach und Außenwände. Für den Neubau und den zu erhaltenden Teil sei eine neue haustechnische Infrastruktur nötig.

Eine Bauzeit von fünf bis sieben Jahren sei realistisch. Dass am Ende die immer wieder genannten 400 Millionen Euro Kosten reichen würden, glaubt Thalhofer nicht. Es fehlten dazu "belastbare Zahlen".

Auf diesen Punkt weist auch Lutz Heese hin, der Präsident der Bayerischen Architektenkammer. Es sei ein grundsätzliches Problem, dass bei vielen Großprojekten zu früh ein möglicher Kostenrahmen genannt werde. Man brauche sich dann nicht wundern, wenn im Laufe der Zeit die Geldsumme - Stichwort Elbphilharmonie - immer weiter wachse.

Profunde Vorplanungen und die Erstellung eines Anforderungskataloges, der im Detail über die Art und Zahl der Räume sowie die entsprechenden Nutzungen Auskunft gibt, wären nötig. Eine seriöse Aussage über die Kosten sei nämlich nur möglich, wenn eine vollständige Entwurfsplanung vorliege. Wer diese erarbeite, müsse wohl ein internationaler Architektenwettbewerb ergeben.

Warum kann das zerstörte Odeon eigentlich nicht wieder als Konzertsaal genutzt werden?

"Völlig undenkbar", antwortet Oliver Platzer, der Sprecher des Bayerischen Innenministeriums, spontan auf die Frage. Das Behördengebäude zu beseitigen und die historische Situation zu rekonstruieren - das ist wohl doch zu abwegig. Zu viele technische, architektonische, akustische und finanzielle Probleme drohten bei einem Umbau.

Das 1828 eröffnete Odeon an der Ludwigstraße war einst ein prächtiger und auch wegen seiner Akustik legendärer Konzertsaal, der im Krieg fast völlig ausbrannte. Der Architekt Josef Wiedemann erhielt den Auftrag zum Wiederaufbau - jedoch für die Bedürfnisse des Innenministeriums. Heute sind nur Teile der einst für 1500 Besucher ausgelegten Konzertsaal-Pracht erhalten. Diese Odeon-Reste bilden einen Innenhof, der 2007 mit einer beeindruckenden Glas-Stahl-Konstruktion überdacht wurde. Aber wenn hier geredet wird, oder mal die Blasmusik aufspielt, merkt man sofort: Die Akustik ist miserabel.

Immer wieder hat es Debatten über eine Rekonstruktion des Odeon gegeben. Die Gegner eines solchen Vorschlags sagen, es könne für sehr viel Geld doch nur eine unvollkommene Kopie des Originals herauskommen. Die Befürworter argumentieren, den Bürgern werde ein Schatz vorenthalten. Schließlich seien auch die Oper oder die Residenz rekonstruiert worden. Oliver Platzer rückt am Ende des Gesprächs von seiner totalen Ablehnung ab. Nachdenken über einen Odeon- Konzertsaal - warum nicht? Es muss halt nur jemand die Initiative ergreifen.

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