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Spektrum möglicher Extreme

Vom 12.9. bis 13.10. kann man im Rahmen eines Projekts der Münchner Kammerspiele und raumlaborberlin in 23 "Shabbyshabby Apartments" übernachten. Muenchenarchitektur sprach mit dem Kammerspiel-Intendanten Matthias Lilienthal über unkonventionelle Ideen, billiger und mit weniger Aufwand zu wohnen – ein sozialpolitischer Beitrag mit verspielter Seite.

Herr Lilienthal, der Vorverkauf für „Shabbyshabby Apartments" hat am 24. August begonnen. Wie ist der Stand der Dinge eine Woche später?

Das Telefon steht nicht mehr still. Die Münchner sind scharf auf das Projekt.

Manche sind richtige Apartments, andere eher ein überdachter Unterstand...

Natürlich sollte man vorher wissen, worauf man sich einlassen möchte. Daher gibt es nur telefonische Reservierungen, bei denen auch über die Vor- und Nachteile aller Standorte aufgeklärt wird.

Die einzelnen Apartments sind sehr unterschiedlich. Wurde darauf bei der Auswahl Wert gelegt?

Ja, es wurden einzelnen Kategorien festgelegt, z.B. wo es minimal invasive Eingriffe in das Vorhandene gibt. Fünf, sechs Entwürfe, die das jeweilige Thema bespielt haben, wurden dann verglichen und die zwei interessantesten genommen.

Gibt es vor dem Start am 12.9. ein Probewohnen?

In der Nacht vom 11. auf den 12.9. sind alle Wohnungen an Beschäftigte der Kammerspiele mit der Bitte vergeben, am nächsten Morgen einen Fehlerbericht abzugeben.

Wurden die Apartments im Vorfeld schon irgendwo aufgebaut?

Ach Quatsch. Hier im Camp treffen heute, am 3.9., die 120 Studenten der Teams ein, die die Apartments in den folgenden Tagen aufbauen. Dabei werden sich noch 1.000 Sachen ändern. Das Ganze ist ein eher raues Projekt. Wenn man Perfektion erwartet, ist man schief gewickelt.

Es gab deutlich mehr Bewerber – 250 – als letztlich ausgesuchte Teams – 23. Fiel die Wahl schwer? Sie saßen ja mit in der Jury.

Ja, aber ich hatte kein Stimmrecht, weil das eine Fachjury war. Benjamin Foerster-Baldenius wollte nicht, dass ich egoistische Interessen des Theaters durchsetze. Er hat eine sehr viel rauere, kommunikativere Haltung zur Architektur als Theaterleute mit ihrem Kitsch.

Sind Sie mit der Auswahl zufrieden?

Im Vergleich zu Mannheim gibt es Sachen, die sehr viel spröder und weniger unterhaltsam sind für die Übernachtenden. Das Projekt hier hat eine deutlich größere intellektuelle Forderung. Aber alles gut.

In Mannheim fand vom 23.5. bis 8.6.14 im Rahmen von Theater der Welt das Vorgängerprojekt "Hotel shabbyshabby" statt. Wie war das im Vergleich zu München?

Es hatte durch das internationale Theaterfestival gedanklich einen ganz anderen Zusammenhang. Hinzu kommt, dass es in einer Kleinstadt wie Mannheim die Privatisierung des öffentlichen Raums gar nicht gibt. Die wären froh, wenn sich jemand für ihn interessieren würde. Das ist hier in München drastisch anders, wo jeder Quadratzentimeter hart umkämpftes Gelände ist.

Wie sind Sie auf die Idee zu "shabbyshabby Apartments" gekommen?

Vor zwei Jahren hatte ich mit der Frage geliebäugelt, ob ich ein Doku-Stück über die Mieten-Problematik in München mache. Stefan Kaegi von Rimini Protokoll meinte damals, dass ich mich deswegen nicht so anstellen soll, weil das in Zürich schlimmer sei. Andere Leute fragten mich, was ich denn Neues zu dem Thema sagen wolle. Trotzdem hat es mich nicht losgelassen, wie man billige Wohnmöglichkeiten schaffen, mit weniger Aufwand leben kann. Als ich von Berlin nach München kam, habe ich 40 Kartons Bücher weggegeben und bin mit den restlichen 60 umgezogen. Aber andere Künstler am Berliner HAU (Hebbel am Ufer) oder an den Kammerspielen fragen nicht mehr, wie viele Quadratmeter ihre Apartments haben, sondern wollen die Übertragungsrate des Internets wissen. Das, was ab jetzt gebaut werden soll, hat heute vollständig andere Anforderungen als vor 25 Jahren. Insofern sehen wir unser Projekt auch als eine kleine, raue, studentische Architekturausstellung.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst auf der Wohnungs-Suche in München gemacht?

Ich habe 50 Wohnungen angeschaut und wohne jetzt in der Baaderstraße im 4. Stock eines 50er Jahre-Hauses: 67 qm, 1.480 Euro warm, Elektrik aus den 50er Jahren, Pinselsanierung, ein bisschen Billig-Parkett reingeklatscht. Das war im Vergleich zu anderen Angeboten ein gutes.

Ihrem neuen Team wird es ähnlich gegangen sein.

Das ist ein Riesen-Problem.

Vielleicht können ja Ideen aus Ihrem „Shabby"-Projekt in Serie gehen?

Da wir nur 250 Euro Material-Budget pro Apartment haben, ist das wohl eher eine temporäre Diskussion von Ideen.

„Shabby" beginnt knapp einen Monat vor der ersten Premiere Ihrer Intendanz. Warum?

Eigentlich hätte es mir besser gefallen, den Theateranfang am 7./8. Oktober und „Shabby" enger zu verschmelzen. Aber es ist in dieser Zeit schon tricky, in unbeheizten Räumen zu schlafen. Außerdem war es uns von der Terminierung wichtig, dass „Shabby" rechtzeitig vor dem Oktoberfest stattfindet, weil man um den Wiesn-Beginn herum von niemandem mehr Aufmerksamkeit kriegt. Die Kombination von „Shabby" und unserer ersten Premiere „Der Kaufmann von Venedig" reißt ein Spektrum von möglichen Extremen auf und bringt auch einen Performance-Begriff ein, der sich sehr stark von der Bühne abnabelt. Außer, dass man dabei z.B. in einer Erdhütte auf dem Max-Joseph-Platz oder in einem Iglu aus Altkleidern vor Yves Saint Laurent auf der Maximilianstraße übernachtet, passiert eigentlich nichts. Trotzdem werden die Leute während ihrer Nacht ganz viel erleben – mindestens so viel wie beim „Kaufmann von Venedig".

Sind alle Installationen ortsbezogen entstanden?

Bei den Bewerbungen gab es acht Beispielstellen mit der Bitte, für einen dieser Orte zu entwerfen. Jetzt haben wir aber 23 Stellen, sodass sich permanent Arten von Änderungen ergeben. Benjamin Foerster-Baldenius von raumlaborberlin und Axel Timm haben dann mit den Gruppen geguckt, welche Installation für welchen Ort richtig ist.

Wie sind Sie auf die verschiedenen Stellen gekommen?

Mit dem Fahrrad rumfahren und gucken. Außerdem gab es ein paar Menschen, die sich in der Stadt gut auskennen, als Scouts.

Inwiefern wurden die Anwohner involviert?

Die gewerblichen haben wir informiert, die anderen nicht.

Informiert heißt aber nicht, dass sie es gut finden.

Wir hatten die Auflage, Bescheid zu sagen, aber nicht, dass die Standorte zustimmungspflichtig sind. Daher kann ich nicht abschätzen, wie sich „Shabby" entwickelt. Dieses Projekt ist für uns ein sozialpolitischer Beitrag. Gleichzeitig hat es eine verspielte Seite, die auch Vergnügen macht. Beides muss man während des Laufens immer wieder nachtarieren, damit das nicht total auf eine der beiden Seiten kippt.

Zum Münchner Kulturreferenten Hans Georg Küppers haben Sie offensichtlich eine sehr gute Beziehung. Hat das die Organisation entsprechend leicht gemacht?

Die Referate der Stadt haben super mitgearbeitet, aber das Projekt war genehmigungstechnisch ein sehr, sehr hoher Aufwand, was an den spezifischen Bedingungen von München liegt. In Mannheim waren die Freiräume viel größer. Hier rasselt jede Installation in die Interessen von jemand anderem hinein.

Und wie ist es mit der Überwachung der Apartments während der Laufzeit? Vandalismus ist ja leider auch in München ein Thema.

Wenn Vandalismus passiert, flicken wir es halt wieder. Unsere Angst ist eher eine andere. Deshalb kommt einmal in der Stunde die Security vorbei. Ansonsten appellieren wir an alle Gäste, zu zweit zu kommen. Man schläft ja im öffentlichen Raum inklusive seiner speziellen Zugänglichkeit.

Mit ruhigem Schlaf sollte man wohl nicht rechnen?

Es ist eher eine Erfahrung als eine Erholung. Man wird als Zuschauer in lauter Entscheidungssituationen geworfen. Was passiert z.B. an der Reichenbachbrücke, wenn Leute vor dem Appartement feiern, wie verhält man sich zu den Obdachlosen? Teilt man mit ihnen seinen Rotwein? Oder wie reagieren man, wenn sie nachts um zwei anklopfen und mehr wollen?

Werden Sie die Erlebnisse der Besucher abfragen?

Wir laden alle Besucher zu einem Croissant-Frühstück in die Kantine der Kammerspiele ein, um von ihren Eindrücke zu hören. Oder sie erzählen sich gegenseitig, was sie erlebt haben. Insgesamt gibt es über die 1.500 Leute hinaus, die hoffentlich während des Projekts übernachten werden, ein stark partizipatives Moment – über die 280 Gruppen, die sich beworben haben, die 120 Studenten, die die Apartments bauen, die Rundgänge etc.

Die normale Planung eines Hauses dauert viele Monate, weil an jedem Detail gefeilt wird. Das war bei Ihnen ja nicht der Fall. Geht es bei „Shabby" eher um die Idee? Oder ist auch der gestalterische Aspekt von Bedeutung?

Es geht in den meisten Fällen um eine Idee und die These, dass Architektur Kommunikation ist. Raumlaborberlin würde sagen, dass man über partizipatorische try outs versuchen soll, architektonische Planungsprozesse zu betreiben und nicht durch künstlerische Entwürfe welcher Art auch immer. Das, was ich an Theater so schätze, ist die Möglichkeit, dass man für vier Wochen Dinge ausprobieren kann. Jeder, der ein Haus baut, hat den Druck, dass es für 30 Jahre benutzt werden muss. Wir können uns auch irren und es ist keine Katastrophe.

Wie waren die Zuständigkeiten unter den beteiligten Mitspielern aufgeteilt?

Ich bin der Produzent und habe letztendlich die Frage gestellt, wer sich das Leben in München leisten kann und wie wir wohnen wollen. Raumlaborberlin sind die künstlerischen Leiter. Künstler und Bauteams sind die, die die Entwürfe eingereicht haben

Und welche Rolle spielte die TU München?

Die haben das Camp auf dem Marstallplatz entworfen, aufgebaut sowie uns auch bezüglich der Standorte geholfen und Ratschläge gegeben.

Glauben Sie, dass Ihr Blick von außen wichtig war, um München anders wahrzunehmen?

In Berlin habe ich extrem über eine gründliche Kenntnis der Stadt gearbeitet. Der bin ich hier gegenüber fremd und benutze diesen Zustand. Jemand, der hier aufgewachsen ist, würde das Thema Mieten nicht akzentuieren, weil er es als gegeben hinnimmt.

Vermutlich gab es im Verlauf des Projekts viele Unsicherheiten und Stress für Sie?

Ich kriege umso bessere Laune, je größer die Katastrophe ist. Wenn es jetzt fünf Wochen durchschiffen würde, könnte das meiner Laune was anhaben. Aber mit allem anderen werden wir fertig.

 

Vorverkauf für die Übernachtungen in den „Shabbyshabby Apartments" Mo. bis Fr. von 10 bis 18 Uhr, Sa. 10 bis 13 Uhr unter Tel. 089 /233 97224. Außer den Übernachtungen finden zahlreiche Vorträge, Diskursveranstaltungen und Führungen statt.

Alle Entwürfe und weitere Informationen unter: muenchner-kammerspiele.de/shabbyshabby-apartments sowie unter raumlabor.net/shabbyshabby-apartments/