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Möglichkeitszenarien

Deutscher Städtebaurpeis 2016 für wagnisART in Nord-Schwabing. Das neueste Projekt der Münchner...  Wohnungsbaugenossenschaft wagnis eG wurde gerade fertig. Muenchenarchitektur sprach mit Rainer Hofmann von bogevischs buero architekten & stadtplaner gmbh über die Herausforderungen und den Mehrwert von Partizipation bei der Planung, unkonventionelle Clusterwohnungen und das große Interesse am Entwickeln und Wohnen in Gemeinschaft.

Wie kamen Sie in Kontakt mit der Münchner Wohnungsbaugenossenschaft wagnis?

Rainer Hofmann: Für wagnis 3 in der Messestadt Riem gab es ein kleines Plangutachten, welches wir 2006 als damals noch relativ junges Büro gewonnen haben. Dieses Projekt haben wir dann durch alle Leistungsphasen geplant und realisiert. Das Ganze war wegen der Lage nicht leicht zu vermarkten und auch ansonsten nicht unkompliziert, weil wir viel Rücksicht auf die einzelnen Genossen mit ihre individuellen Vorstellungen nehmen mussten. Insofern haben wir da einige Federn gelassen.

Warum hat es Sie trotzdem gereizt, bei wagnisART wieder ins Rennen zu gehen?

Rainer Hofmann: Wir wollten aus Fehlern lernen und haben uns deshalb gerne darauf eingelassen. Insgesamt standen circa zehn Architekturbüros zur Auswahl, drei kamen in die engere Wahl: SHAG, Peter Haimerl und wir. Jeder von uns sollte ein eigenes Baufeld planen. Peter Haimerl stieg aus. Zusammen mit Udo Schindler und Walter Hable haben wir dann eine ArGe gegründet und sind in einen spannenden, völlig neuen Planungsprozess eingestiegen.

Was war daran so besonders?

Rainer Hofmann: Der Mehrwert von Partizipation besteht darin, dass sich die späteren Bewohner durch die Beteiligung am Planungsprozess bei Bezug bereits kennen und eine Gemeinschaft bilden. Dabei hatten wir nicht die Aufgabe einer Gestaltungspolizei mit festen Vorstellungen, sondern waren Teil eines iterativen Prozesses, der zu einer sehr ungewöhnlichen Form geführt hat: fünf Passivhäuser mit 138 Wohnungen, die durch Brücken verbunden sind. Diese Architektur entstand aus einem mit den Genossen entwickelten Modell aus Pappstreifen und Kartons und wurde dann von uns in eine baubare Architektur übersetzt. Außergewöhnlich sind auch die vielen Gemeinschaftseinrichtungen von Innenhöfen über Ateliers, zwei intensiv begrünte Dachterrassen und sehr große, helle Treppenhäuser bis hin zu Bibliothek, Wasch-Café, Werkraum und Praxen. Bei den Wohnungen gleicht vom Zuschnitt her keine der anderen, wobei natürlich gewisse Standards wie Fensterhöhen oder Schrankzonen berücksichtigt wurden. Insgesamt gab es einen maximalen Möglichkeitsraum mit eigenem Regelwerk.

Was hat es mit den sogenannten Clustern auf sich?

Rainer Hofmann: Das sind acht Wohnungen mit einer Maximalgröße von 400 Quadratmetern, in denen fünf bis acht Leute zusammenleben. Jeder von ihnen hat ungefähr einen 35 Quadratmeter großen Schlaf-Wohnraum mit Kochzeile und Bad. Dazu kommt ein großer Bereich für alle, der gemeinschaftlich genutzt wird. Darauf muss man sich einlassen, weil man direkt aus seinem Privatbereich heraus quasi auf eine Bühne tritt. Trotzdem war das Interesse erstmal gross. Unserer Ansicht nach ist das ein Zukunftsmodell für Menschen, die auch mal für sich sein, aber grundsätzlich nicht allein leben wollen. Etwas Ähnliches gab es interessanterweise schon 1972 in Hamburg Steilshoop. In der Kalkbreite in Zürich, die wir uns genau angeschaut haben, wurde das Modell auf moderne Art weiterentwickelt.

Haben sich Ihre Ideen jetzt auch in der Praxis bewährt?

Rainer Hofmann: Das Feedback ist gut. Bislang sind noch keine negativen Meinungen an uns herangetragen worden – mal abgesehen von klemmenden Türen. Das Echo auf WagnisART ist nicht zu verachten: Wir wurden bzw. sind damit für mehrere Ausstellungen eingeladen: im Sommer zu „Keine Angst vor Partizipation" im Architekturmuseum der TU München, „Alle wollen wohnen" (14.9.-30.10.) im Gelsenkirchener Museum für Architektur und Ingenieurskunst, „Neue Standards" im Deutschen Architektur Zentrum Berlin ab 27.10., wozu auch ein Buch mit Beiträgen von zehn Architekten erscheint. Angefragt wurden wir außerdem für eine Wohnungsbauausstellung im Vitra Design Museum. Und wir haben mit dem Projekt WagnisART den Deutschen Städtebaupreis 2016 bekommen.

Wie können Sie sich dieses große Interesse erklären?

Rainer Hofmann: Es ist verblüffend, aber wir haben offensichtlich ins Herz einer wichtigen Entwicklung getroffen. Wir kämpfen in normalen Projekten immer, um unsere Entwurfsautonomie gegenüber den anderen Planungsbeteiligten zu verteidigen – gegenüber scheinbar wirtschaftlichen Interessen oder einer fehlenden Flexibilität Dritter. Wir sind dieses Projekt ganz anders angegangen: Wir haben, innerhalb eines choreographierten Regelwerks, einen ergebnisoffenen Prozess aktiv moderiert. Das Resultat bestätigt, so denke ich, diesen Weg. Unserer Meinung nach wird das Interesse an anderen Wohnformen und Planungsprozessen weiter zunehmen, die im Resultat einerseits individuelle Rückzugsmöglichkeiten, aber gleichzeitig viel Gemeinschaft bieten.

Werden Sie in einer ähnlichen Richtung weiter arbeiten?

Rainer Hofmann: Aufgrund der gemachten Erfahrungen wollen wir weiter unter Einbeziehung der Beteiligten Möglichkeitsszenarien entwerfen, momentan bei der Neugestaltung der Münchner Märkte, einem Wohn-Projekt des Beamten-Wohnungs-Vereins in der Parkstadt Schwabing oder der Planung für ein 10.000 Quadratmeter großes Grundstück mit circa 300 Wohnungen in Kirchheim/Teck, wo wir unlängst ein Planungsgutachten für uns entscheiden konnten.