Zeitgenössische Architektur in Bayern

Wow-Design

Wer einen Blick auf unsere Zukunft werfen möchte, hat bis Sonntag in der Alten Kongresshalle beste Gelegenheit dazu...

Was wäre, wenn das Raster oder System – das Grid – in Frage gestellt wird, um ein eigenes Gegenmodell zu entwickeln?Dann wäre man off the grid, also außerhalb gängiger marktüblicher Systeme. Unser bestehendes, auf Wachstum basiertes Wirtschaftssystem gewährleistet nach wie vor keine gerechte Verteilung von Ressourcen, Bildung, Nahrung und Gesundheit. Die Ausstellung zeigt aktuelle Positionen einer neuen Designergeneration, die sich der Thematik einer zukunftsgerechten Ökonomie annehmen.

„Uns stören Massentierhaltung und Monokulturen, deshalb haben wir uns für unser Abschlussprojekt 'food revolution' überlegt, ob es in Zukunft nicht einen anderen, besseren Weg der Lebensmittelproduktion geben könnte", sagt Miriam Bunte. Zusammen mit ihrer Kommilitonin Te-San Yang entwickelte die Designstudentin an der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle, einen neuen Ansatz, bei dem genveränderte Insekten und Wasserpflanzen unaufhörlich 'Früchte' produzieren, die der Verbraucher nach Bedarf einfach von ihren Körpern ernten kann, ohne dass ein Tier für die menschliche Lebensmittelversorgung leiden oder gar sterben muss. „Wie bei einer Eidechse", erklärt Miriam Bunte. „Die kann ihren Schwanz abwerfen und trotzdem weiterleben." Die Wasserpflanzen könnte jeder bei sich in der Küche in Aquarien halten. Und warum gerade Insekten? „Die sind robust, nahrhaft und reich an Proteinen", erklärt Te-San Yang. Selber probiert hat sie allerdings noch keine. Anders als Miriam Bunte, die sich für ihre Recherchen extra ein Paket Heuschrecken im Netz bestellt hat. 

Ebenfalls auf der Basis von lebendem Gewebe und Instrumenten der Biotechnologie hinterfragt Amy Congdon die Möglichkeiten des Mode-Designs. Welche neuen, hybriden Materialien könnte man züchten? Elfenbein, Leder und Fell aus der Retorte. Wie würde das die Mode beeinflussen? Wie müsste zum Beispiel die Petrischale für die charakteristische Kamelienblüte von Chanel aussehen? Um ein besseres Verständnis zu erlangen, arbeitete die Designerin in Tissue-Engineering-Labors.

Insektenartige Objekte wiederum finden sich auch in der Vitrine von 'next gardens'. Nein, das sind keine Designer-Broschen sondern Mini-Drohnen. Diese sollen laut Marlies Kolodziey und Lucas Teiceira „die Gefühle und Bedürfnisse unserer zukünftigen Gärten übersetzen", indem sie Wasserstand und Wachstumsphasen überwachen, aktiv beim Säen mithelfen oder Pigmente und Duftstoffe sammeln. Der Garten als Vision von Natur, die man sich mit Hilfe neuester Technologien aneignet...

Tipp: die ausliegenden Broschüren sind für das Verständnis der Objekte in den Schaukästen äußerst hilfreich, um nicht zu sagen unentbehrlich – das Lesen lohnt sich, sonst verpasst man verblüffende Gedankenansätze.

Neue Gedankenansätze vermittelt auch die Ausstellung positive plastics im ersten Stock der Alten Kongresshalle. Dort erklären die beiden Kuratorinnen Efrat Friedland, Inhaberin von materialscout, und Nina Saller, Gründerin von XbeyondS, warum Kunststoff oft zu unrecht als umweltschädlich verteufelt wird. „Wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Materials betrachtet, schneidet Plastik nicht schlechter ab als zum Beispiel Glas. Es benötigt weniger Energie bei der Herstellung und hält deutlich länger", sagt Nina Saller. ”Außerdem ist es mehrfach recycelbar, wenn man beim Design von Produkten darauf achtet, die einzelnen Komponenten so zu verbinden, dass man sie am Ende auch wieder gut trennen kann – also zum Beispiel möglichst keine Klebstoffe verwendet", ergänzt Efrat Friedland. Manchmal ist Plastik auch einfach die gesündere Wahl – wenn es zum Beispiel in Röntgengeräten anstelle von Blei zum Einsatz kommt. Das ist möglich, da gewisse Kunststoffarten die gleiche Dichte aufweisen. Und wer hätte das gedacht: Mit den entsprechenden Zusatzstoffen wird Plastik magnetisch, elektrisch oder thermisch leitfähig, strahlenabweisend, antistatisch... In der Ausstellung wird Plastik präsentiert, das sich wie Metall anfühlt und solches, das wie Holz aussieht. „Bei über 80.000 verschiedenen Polymeren gibt es für jede Anforderung das richtige Material", sagt Efrat Friedland. Man glaubt es ihr gern.

Nicht verpassen: Meeresleuchten in Lampenform
Nach dem Eingang links halten, den Ausstellungsraum Best of Dutch Design 2015 schräg nach rechts hinten durchqueren, Vorhang öffnen, Leuchte anstoßen sodass sie pendelt, Vorhang schließen und staunen: Millionen von in der Glasröhre der Leuchte gefangene Mikroorganismen senden nach dem durch die Bewegung verursachten Berührungsreiz mehr oder weniger lange andauernde Lichtsignale aus – leider funktioniert die organische Lampe nur, wenn man den Inhalt mehrmals am Tag wechselt...

Weitere Ausstellungen in der Alten Kongresshalle im Rahmen der MCBW bis Sonntag, 28.02. (kostenfrei): 

  • The Future of Meat
    Wie gehen wir in Zukunft mit dem Fleischkonsum um? Fünf beeindruckende Zukunfts-Szenarien
  • The Power of Explanation – Graphics by Nigel Holmes
    Die kommunikative Kraft von Bildern, um Information effizient und dennoch leicht verständlich zu vermitteln
  • Film meets Design
    Filmische Installationen vereinen auf unterschiedlichste Weise die Disziplinen Film und Design
  • Illustrierten Ikonen
    1000 herausragende Illustrierte, die zur Zeit der Weimarer Republik Aufsehen erregten und heute Klassiker sind

Alle Fotos: Gabriela Beck